Krim-Tourismus in Kriegszeiten: Glauben an Sicherheit
Viele Strände auf der Krim sind gesperrt oder vermint. Doch weil russische Medien kaum darüber berichten, erfahren viele Russen davon erst vor Ort.
Wer auf die Krim will, braucht Nerven und viel Zeit. Denn nicht erst seit dem Beginn der Ferienzeit kommt es zu Staus vor der Brücke auf die Krim. Die sogenannte Kertsch-Brücke, die erst 2018 gebaut wurde, verbindet das russische Festland mit der 2014 annektierten Halbinsel. Am 8. Oktober 2022 war auf der Brücke ein mit Sprengstoff gefüllter Lkw explodiert, mehrere Pfeiler stürzten ins Wasser.
Seit nach der Brückenreparatur der Verkehr wieder normal fließt, wird jedes Auto gründlich überprüft. „Nachdem mit Kriegsbeginn der Flugverkehr mit der Krim eingestellt wurde, kommt man nur noch schwer dorthin“, erzählt Kristina Nikolajewa. „Im Mai bin ich von Moskau ins südrussische Sotschi geflogen und wollte von dort mit dem Taxi weiter auf die Krim. Aber vor der Brücke war ein solcher Stau, dass der Fahrer meinte, es könne vier Stunden dauern. Es war klar, dass ich zu spät zur Beerdigung meiner Mutter kommen würde. Also ging ich zu Fuß weiter. Am Kontrollpunkt sagten sie mir, dass ich nur per Auto weiterkommen könne. Ich habe dann eine Mitfahrgelegenheit nach Sewastopol erwischt. Insgesamt war ich 18 Stunden unterwegs.“
Mit Beginn der Ferienzeit wurde der Stau noch länger. Der russische Präsident Wladimir Putin verfügte, Autos die andere Brücke im Norden der Krim passieren zu lassen. Aber diese Strecke führt von Rostow am Don durch den besetzten Teil der Ukraine und das zerstörte Mariupol. Bis zur Front sind es 70 Kilometer, die Straße wird auch vom russischen Militär genutzt.
Eine ähnlich verrückte Idee des russischen Militärs: Autotouristen vom südrussischen Krasnodar aus mit Schiffen der Schwarzmeerflotte auf die Krim zu bringen. Zu einer Zeit, in der jedes Kriegsschiff im Schwarzen Meer ein legitimes Ziel für die Ukraine ist.
Russische Medien berichten kaum
Und auf den Straßen der Krim gehen die Probleme dann gleich weiter. In Sewastopol versagten bei einem Militärlaster die Bremsen, er rammte acht Autos und tötete einen Fußgänger. In Simferopol zerquetschte ein Schützenpanzer ein Auto und fuhr dann einfach weiter. Auf der Halbinsel werden regelmäßig Eisenbahnschienen gesprengt, ukrainische Drohnen attackieren Öldepots, Flughäfen und Militäreinheiten.
Viele Strände sind gesperrt oder vermint. Doch weil die russischen Medien kaum darüber berichten, erfahren viele Russen davon erst vor Ort. „Unsere Freunde in Jalta haben am Telefon gesagt: ‚Kommt her, bei uns ist es nicht gefährlich‘“, erzählt Guli Achtemowa aus Kasachstan. „Also fahren wir. Wenn es gefährlich wäre, hätten die Behörden diese Gegenden doch gesperrt, oder?“
Weniger Touristen
Überraschenderweise glauben sogar Menschen in Sewastopol im Südwesten der Krim an ihre Sicherheit. Dort zerstörte vor zwei Monaten eine Drohne ein Öldepot, funkgesteuerte Boote griffen Schiffe der Schwarzmeerflotte direkt in der Bucht an.
Das Touristenaufkommen ist auf der Krim in diesem Jahr allerdings deutlich geringer als 2022. Normalerweise sind die Hotels ab Juni zu 95 Prozent ausgebucht. Jetzt sind es nach Angaben örtlicher Behörden gerade einmal 50 Prozent.
Der Blogger Aleksandr Gorny schreibt oft über Koktebel und Feodossija (im Osten der Krim). Ihm zufolge sind die Buchungen im Vergleich zur Vorkriegszeit um 70 Prozent zurückgegangen. Viele Hotels stünden leer, einige Unternehmer hätten für die Saison ihre Häuser nicht einmal geöffnet. Zudem gebe es viel Personal, das nicht mehr auf der Krim arbeiten möchte.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
Der Autor stammt aus der Krim und schreibt unter Pseudonym. Er lebt im Exil
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