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Angriffe dürfen nicht unwidersprochen bleiben!

Anfeindungen und Hass auf queere Menschen erleben zurzeit einen besorgniserregenden Aufstieg – massiv befeuert durch Hetze vom rechten Rand. Betroffenen helfen können Anlauf- und Beratungsstellen, Demonstrationen und handfester Widerstand

Erste Regel bei Gewalt gegen andere: Beistand leisten! Foto: Eventpress Stauffenberg/picture alliance

Von Felix Schlösser

Warum ist es so schwer, Menschen so leben und lieben zu lassen, wie sie sind und wie sie sich fühlen? Diese Frage stellen sich nicht nur in Deutschland, sondern auch international viele Menschen queerer Communities. In Tiflis, Georgien, kam es zu massiven Angriffen auf ein Pride Festival, bei dem Flaggen in Brand gesetzt, Stände demoliert und Teil­neh­me­r*in­nen bedroht wurden. Die Türkei versucht schon seit Jahren die Pride Parade in Istanbul präventiv zu verhindern und geht nicht selten mit Polizeigewalt gegen Demonstrierende vor.

Das ugandische Parlament in Kampala beschloss im März dieses Jahres wiederum harte Strafen für Homosexuelle und Unterstützer*innen, die bis zur Todesstrafe reichen können. Eine Pride Parade vor Ort wurde durch die Polizei verhindert. Queerfeindliche und gewalttätige Mobilisierungen sind ebenso in Russland an der Tagesordnung, unterstützt von harten staatlichen Gesetzen, die Tä­te­r*in­nen bestärken.

Zu sagen, dass Queerfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wäre falsch. Sie war schon immer vorhanden und erlebt zurzeit einen besorgniserregenden Aufstieg – massiv befeuert durch Hetze vom rechten Rand, der im Kampf gegen andere Lebensmodelle oder auch das Gendern neue Kernthemen entdeckt hat. Eine neue Sichtbarkeit von Menschen, die sich mit einem anderen Geschlecht als ihrem biologischen identifizieren, die offen homosexuell auftreten oder generell festgefahrene Stereotype von Männlichkeit hinterfragen, sorgt sogar immer häufiger für Ausgrenzung und Gewalt. Ein gesamtgesellschaftlicher Widerstand dagegen ist notwendig, das Schmieden neuer Allianzen und eines vereinten Kampfes gegen diese Zustände überfällig.

Auch in Deutschland ist die offene Feindschaft gegenüber queeren Menschen kein neues Thema. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Straftaten gegen sie auf rund 1.400. Im Folgenden seien deshalb exemplarisch drei Vorfälle beschrieben, die zeigen, dass es auch hierzulande ein großes Problem mit Hass auf Menschen gibt, die nicht dem heteronormativen Ideal entsprechen.

Berlin, September 2021: Trans-Frau Ella Nik Bayan, gebürtige Iranerin, übergießt sich auf dem Alexanderplatz mit Benzin und zündet sich selbst an. Sie erliegt wenig später ihren Verbrennungen im Krankenhaus. Georg Matzel, ehrenamtlicher Mitarbeitender einer Anlaufstelle für queere Geflüchtete des Lesben- und Schwulenverbands Sachsen-Anhalt, der Ella mehrere Jahre unterstütze berichtet später von Behördenstress und alltäglicher Dis­kriminierung, die sie ausgebrannt hätten. Im April 2023 wurde ihr Grab bereits zum fünften Mal durch Unbekannte geschändet.

Münster, August 2022: Bei der CSD-Parade in der kleinen als eher weltoffen geltenden Stadt wird der 25-jährige Trans-Mann Malte C. mit einem Faustschlag niedergestreckt. Vorausgegangen war eine Situation in der er sich schützend vor zwei lesbische Frauen gestellt hatte, die von einem Passanten beleidigt wurden. Malte C. starb einige Tage später an den Folgen des Schlags an einem Schädel-Hirn-Trauma. Der Täter wurde vor vier Monaten zu fünf Jahren Haft verurteilt.

München, Juni 2023: Zwei Drag-Stars und die junge Trans-Autorin Julana Gleisenberg planten eine Lesung für Kinder, in der Welten gezeigt werden sollten, „die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für {sie]* bereithält, und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten“. Nicht nur die AfD, erzkonservative Politikern wie Hubert Aiwanger von den Freien Wählern und einige CSUler liefen dagegen Sturm, sondern sogar SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter ließ sich zu einem Statement hinreißen, in dem er verkündete, er habe für diese Art von Veranstaltung kein Verständnis. Die Lesung fand letztendlich unter Protesten statt, doch die 13-jährige Gleisenberg sagte ihre Teilnahme wegen massiven Anfeindungen ab.

Doch was können geeignete Antworten auf solche queerfeindlichen Taten sein? Hier gibt es ganz unterschiedliche Mittel und Wege, die von Anlauf- und Beratungsstellen für Betroffene über Demonstrationen bis hin zu konfrontativem Widerstand reichen.

Auch wenn der Staat es lange vernachlässigte, so gibt es viele Beratungsangebote für queere Menschen, die meisten von ihnen liegen in großen Metropolen. Auch queere Jugendzentren sind in den letzten Jahren vermehrt entstanden. Eines davon ist das Queerdom in Berlin-Mitte, das sich an Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren richtet und in dem es verschiedene Angebote gibt und ein Ort des Austauschs und Kennenlernens geschaffen wurde. Weitere Zentren dieser Art gibt es unter anderem in Köln, Hannover, Düsselsdorf, Frankfurt und Karlsruhe.

Ende Juni fand in Berlin-Marzahn die vierte russischsprachige Pride statt. Organisiert wurde der Umzug von Quarteera e. V., eine LGBTQ+ Organisation in Deutschland, deren Kommunikationssprache russisch ist. In den Ost-Bezirken Marzahnn und Hellersdorf lebt eine Mehrheit russischsprachiger Migrant*innen. In diesem Jahr kamen mehrere Personen der neonazistischen Partei „3. Weg“ bei der OPride Parade vorbei, um einen Stand der Partei „Die Linke“ abzufilmen und zu bedrohen. Dies ließen sich queerfeministische An­ti­fa­schis­t*in­nen auf der Demo nicht gefallen. Nur mit einem Transparent ausgestattet gingen mehrere Teilnehmende auf die Neonazis zu und wickelten diese kurzerhand mit einem Transparent ein. Die verdutzten Neonazis leisteten, wohl auch aufgrund der Tatsache, dass die Polizei in der Nähe war, keinen Widerstand und wurden anschließend von der Veranstaltung ausgeschlossen.

Eine weitere Form eines eher offensiven Widerstands sind die seit 2021 wieder jährlich zur Walpurgisnacht stattfindenden „Take back the night“-Demonstrationen in Berlin. Die an Teil­neh­me­r*in­nen­zah­len stetig größer werdende Aufzüge proklamieren einen offensiven, teils militanten Widerstand gegen alltägliche Diskriminierungen und Herabwürdigungen. Nicht selten kommt es dabei zu Auseinandersetzungen mit wütenden Männern oder den meist männlichen Polizeieinsatzkräften. Tatsächlich haben diese Demonstrationen ihren Ursprung im Jahr 1975 in Philadelphia, zwei Jahre später fand die erste Demonstration dieser Art in Deutschland statt. Ging es früher ausschließlich um die Diskriminierungen von Frauen, werden bei den seit 2021 stattfindenden Aufzügen auch queere Anliegen und Benachteiligungen in den Mittelpunkt gestellt.

Weiterhin ist natürlich wichtig, dass queerfeindliche Hetze und Angriffe im Alltag nicht unwidersprochen bleiben. Wenn Menschen bemerken, dass sich über Queers lustig gemacht, sie beleidigt oder diffamiert werden, ist das einzig Richtige, ihnen Beistand zu leisten oder zu widersprechen. Nur wenn ­Tä­te­r*in­nen sich in ihrem Tun nicht mehr sicher fühlen, kann weitere Gewalt und Hass verhindert werden. Bis dahin ist es aber sicherlich noch ein weiter Weg und aktuelle Wahlprognosen der reaktionären AfD, insbesondere in den östlichen Bundesländern, zeigen, dass der Rückzugsraum für queerfeind­liche Agitation nicht schrumpft.

Wegen der hohen Zahl von Straftaten gegen queere Menschen in Deutschland sind zudem Selbstverteidigungskurse ein adäquates Mittel zum Selbstschutz. Auch hier gibt es immer mehr Angebote, die sich speziell an Flinta* oder Queer-Personen richten. Solche Trainings können Menschen darin bestärken sich in ihrer Umwelt sicherer zu fühlen und die nächste grenzüberschreitende Situation nicht unkommentiert hinzunehmen. „Widerstand“ ist also auch ein Mittel der Wahl – ob in Bus und Bahn, am Stammtisch, durch Demonstrationen, im Büro, am Arbeitsplatz oder in den Parlamenten. Damit irgendwann alle lieben, leben und sein können, wie sie möchten.