Ausgehen und rumstehen von Derya Türkmen
: Auf der Suche nach meinem „Köy“

Foto: privat

Es ist Wochenende und wirklich noch sehr früh. Ich wurde wieder gleichzeitig mit dem Sonnenaufgang wach. Manche nennen es: von der Sonne geküsst! Ich nenne es: Ich brauche langsam wirklich ein Rollo. Die Sonne strahlt durch mein Fenster direkt auf mein Gesicht, und im selben Moment springt der Kater mauzend auf meine Brust, sodass ich kurz nach Luft schnappen muss. Eine Sache ist klar, der hat Hunger. Eine Sache jedoch ungewiss. Was fange ich mit dem heutigen Tag an?

Ich schlurfe ins Wohnzimmer, setze mich auf die Couch. Von draußen höre ich schon die ersten Autos fahren, eigentlich eher hupen. Guten Morgen, Berlin! Auf meinem Smartphone suche ich meine Watchlist raus. Auf der Liste stehen bestimmt Hunderte von Filmen. Und ich habe genau drei davon bereits geschaut. Ich scrolle trotzdem in der Liste in der Hoffnung auf Inspiration.

Während ich meinen Zeigefinger auf dem Telefon hoch- und runterbewege, sehe ich folgenden Filmtitel: „Köy“. Ein Film, von dem ich mal gehört hatte. Eigentlich wurde er mir mal empfohlen. Den wollte ich schon immer schauen. Nur wo? Und wie? Das war immer die Frage.

„Köy“ ist ein Dokumentarfilm von Serpil Turhan. Ein Film über drei kurdische Frauen aus drei verschiedenen Generationen, die in Berlin leben. Filmisch begleitet über drei Jahre. Ein politischer Film über türkisch-kurdische Beziehungen und ein Film über Heimat.

Als Frau mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland lebt, ist das Thema Heimat für mich von großer Bedeutung. Schon immer war dies die zentrale Frage meines Lebens. Wo gehöre ich hin? Ich bin zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, dennoch macht mich dieser Fakt nicht direkt zu einer Deutschen. Es fängt schon bei meinem Namen an und endet genau mit dem folgenden Satz: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“

Ich stöbere im Netz und recherchiere, ob es nicht doch eine Vorstellung geben könnte. Ich stoße tatsächlich auf ein Screening im Kunstraum Kreuzberg. Und zwar von „Köy“. Das Screening findet in Kollaboration mit der Ausstellung „Beyond Home“ statt, die von feministischen Künstlerinnen mit Migrationshintergrund organisiert wird. Im Fokus steht das Thema: Zugehörigkeit und Heimat. „Beyond Home“ – es sind Zitate auf Ziegelsteinen, die überall im Raum verteilt sind. Gleichzeitig wird das Screening von „Köy“ vorbereitet. Ich gehe durch den Raum und fühle mich sehr wohl. Irgendwie unter Gleichgesinnten. Während ich mir meinen Platz aussuche, sticht mir ein Ziegelstein besonders ins Auge: „WAS, WENN WIR MEHR ALS EIN ZUHAUSE HABEN?“ Diese Frage begleitet mich für den Rest des Abends. Darüber hatte ich so nie nachgedacht.

Was ist denn nun meine Heimat? Ein Gefühl von Akzeptanz steigt in mir auf. Ein Sehnsuchtsgefühl. Das Gefühl von Zugehörigkeit. Und dieses Gefühl empfinde ich zwar vermehrt in Deutschland, aber auch in der Türkei. Allein schon durch die Sprache. Sertap Turhan meinte in einem ihrer vorherigen Interviews, dass die Sprache ebenfalls ein wichtiger Teil von Kultur, Zugehörigkeit und Heimat sei. Das stimmt vollkommen! Ich habe mehr als ein Zuhause, und ich bin wirklich stolz darauf. Dieser Gedanke bringt mich zum Grinsen.

Am nächsten Tag rufe ich meinen Opa an, der in den 70ern als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland kam: „Sag mal, Dede (türkisch für Opa), wo ist dein Zuhause?“ Er antwortet: „Mein Zuhause ist Deutschland. Genau da, wo meine Kinder und Enkelkinder sind.“

Ich habe mehr als ein Zuhause, und bin wirklich stolz darauf. Der Gedanke bringt mich zum Grinsen

Übrigens das Wort „Köy“ kommt aus dem Türkischen und bedeutet Dorf. Ich bin auch in einem Köy aufgewachsen. In einem deutschen Dorf bei Rinteln. Nach diesem Abend empfinde ich seit langer Zeit wieder Sehnsucht nach meinem Köy, meiner Heimat.