Migranten werden jünger zu Alten

Die erste Generation der Gastarbeiter erreicht das Rentenalter – und bleibt häufig für immer in Deutschland. Noch sind Pflegeeinrichtungen zu wenig auf Migranten eingestellt. Das Problem drängt. Denn die Zuwanderer altern früher als Deutsche

VON MADLEN OTTENSCHLÄGER

Der Begriff „Gastarbeiter“, er sollte Programm sein: Zum Arbeiten waren die Türken und Griechen, Italiener und Kroaten in Deutschland willkommen – und sollten später zurück in ihre Heimat gehen. Dass ein Großteil der Migranten der so genannten ersten Generation statt dessen ihren Lebensabend in Deutschland verbringt, damit beschäftigt sich heute in Berlin der Kongress „Altwerden in der Fremde“.

„Die Zahl der über 60-jährigen Ausländer wächst kontinuierlich“, sagt Irmingard Schewe-Gerigk, altenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und Veranstalterin des Diskussionsforums. In der Öffentlichkeit aber werde dies überhaupt nicht wahrgenommen. Dabei stelle diese Entwicklung die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen vor erhebliche Herausforderungen.

Die Veranstaltung gehört zu der von Schewe-Gerigk initiierten Konferenzreihe „Alternde Gesellschaft“. Auf dem heutigen Kongress werden Konzepte für eine interkulturelle Altenhilfe vorgestellt.

Zwar ist die ausländische Bevölkerung im Vergleich zur deutschen deutlich jünger. Laut einer Prognose der Caritas aber wird im Jahr 2030 jeder vierte in der Bundesrepublik lebende ältere Mensch ein Migrant sein. Und schon in fünf Jahren sind wohl 1,3 Millionen ältere Ausländer in Deutschland gemeldet. Experten rechnen damit, dass diese Menschen früh auf fremde Hilfe angewiesen sein werden: Viele haben körperlich schwer gearbeitet, im Akkord, im Schichtdienst und bei Nacht. „Der Alterungsprozess tritt deshalb früher ein als beim Durchschnitt der deutschen Bevölkerung“, sagt Peter Zeman vom Deutschen Zentrum für Altersfragen.

Der Soziologe und Gerontologe wehrt sich aber gegen eine Pauschalisierung: „Die Unterschiede sind je nach Zeitpunkt der Einwanderung und des Herkunftslandes groß.“ Gemeinsamkeiten aber lassen sich durchaus finden. Charakteristisch etwa sind Mehrfacherkrankungen und chronische Krankheiten

„Die Migranten haben sich während ihres Arbeitslebens häufig zu wenig Regeneration gegönnt“, sagt Zeman. Der Hauptgrund war das damalige Lebenskonzept. Mit Überstunden und Doppelarbeit sollte möglichst schnell möglichst viel Geld verdient werden, um dann eine Existenz in der Heimat aufzubauen. Viele aber blieben dann doch in Deutschland.

Die gesundheitliche Versorgung in der Bundesrepublik ist häufig besser als in den Herkunftsländern. Dies mag ein Grund für das Bleiben sein. Wichtiger aber ist, dass die Kinder und Enkelkinder hier leben und die frühere Heimat durch die Jahre der Abwesenheit fremd geworden ist. Enge familiäre Bande gibt es dort oft nicht mehr. Viele setzen lieber auf die Familie hier und hoffen, von den Angehörigen gepflegt zu werden. „Das aber funktioniert häufig nicht“, sagt Schewe-Gerigk. Die Kinder und Enkel sind berufstätig, für viele Arbeiten braucht es Profis.

Zwei Hürden gilt es daher zu überwinden: Erstens sind die Institutionen der Altenpflege unter Migranten wenig bekannt, und zweitens gehen die Einrichtungen bislang zu wenig auf die speziellen Belange dieser Gruppe ein, von Modellprojekten abgesehen. Ethnische und religiöse Besonderheiten müssen gerade bei der Pflege beachtet werden. „Einen bettlägrigen Muslim darf man beispielsweise nicht mit dem Waschlappen waschen“, sagt Ulrich Stiels vom transkultureller Pflegedienst in Hannover. Der Glaube schreibe fließendes Wasser vor. Anliegen des Kongresses ist es daher, auf die besondere Bedürfnisse der Migranten in der Altenpflege hinzuweisen.