Aus dem Schuldennetz befreit

Schuldenerlass für ärmste Länder wird als „historischer Beschluss“ gefeiert

VON KATHARINA KOUFEN

Glaubt man Bob Geldof, sind heute Morgen 280 Millionen Afrikaner mit einem Gefühl wie Weihnachten aufgewacht: „Zum ersten Mal im Leben schulden sie mir und dir keinen Penny mehr“, jubelte der britische Sänger, der schon vor 20 Jahren gegen den Hunger in Afrika auftrat. Tatsächlich dürften diejenigen, die überhaupt einen Fernseher haben oder Zeitung lesen, freudig überrascht sein. Denn die Nachricht kam völlig unerwartet: Die führenden Industrienationen und Russland erlassen den ärmsten Ländern ihre Milliardenschulden zu hundert Prozent.

Noch am Freitag war kaum jemand davon ausgegangen, dass sich die Finanzminister auf ihrem Treffen in London einigen würden. Für den hundertprozentigen Erlass aller Schulden legte sich eigentlich nur der britische Schatzkanzler Gordon Brown so richtig ins Zeug. Unterstützung hatte er sich immerhin ein paar Tage vorher in einem Vieraugengespräch von seinem amerikanischen Kollegen John Snow gesichert. Gegen die Angelsachsen standen Deutschland, Frankreich und Japan, die einen weit geringeren Schuldenerlass vorschlugen.

„Dies ist in der Tat ein historischer Beschluss“, kommentierte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) die Einigung am Samstag in London. Zunächst werden 18 armen Ländern 40 Milliarden Dollar erlassen, deren Schuldendienst sich über einen Zeitraum von 40 Jahren erstreckt. Gemeint sind Schulden, die diese Länder bei internationalen Gläubigern haben, also Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Afrikanische Entwicklungsbank. Das wären pro Jahr etwa eineinhalb Milliarden Dollar, die diese Länder für den Bau von Schulen und zur Bekämpfung von Aids zur Verfügung hätten. Pro Land macht das im Durchschnitt rund 80 Millionen Dollar – immerhin das vier- bis sechsfache der deutschen Entwicklungshilfe für Länder wie Uganda oder Äthiopien. Auf Deutschland kommen durch den Schuldenerlass pro Jahr 30 bis 40 Millionen Euro Kosten zu.

Wie viele Staaten tatsächlich von dem Beschluss profitieren, ist allerdings noch unklar. Bisher erfüllen erst 18 Länder – 14 davon in Afrika, vier in Lateinamerika – die Bedingungen, die an einen Erlass geknüpft sind. Das sind diejenigen Länder, denen bereits nach der HIPC-Initiative für Highly Indebted Poor Countries seit 1996 ein Teil ihrer Schulden erlassen wurde. Damals wurden auch die Kriterien festgelegt: Zum einen ökonomische Daten wie die „Schuldentragfähigkeit“. Sie errechnet sich aus dem Schuldenstand im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung des Landes und aus dem Verhältnis von Exporteinnahmen zu Schuldendienst, also Zins- und Tilgungszahlungen. Zum anderen verlangen die G 8, dass nur Ländern mit „guten“ Regierungen die Schulden gestrichen werden dürfen. Zu groß sind die Befürchtungen, dass korrupte Herrscher die eingesparten Millionen auf ihr Privatkonto im Ausland überweisen.

Die Bedingung der guten Regierungsführung ist umstritten. Vor allem Experten in den europäischen Ländern und den USA fürchten, die Kriterien würden nicht streng genug angewandt. Tatsächlich stehen auch Länder mit besonders undemokratischen Strukturen wie Ruanda oder besonders hoher Korruption wie Kamerun auf der Liste. Auch in den betroffenen Staaten selbst werden solche Bedenken geäußert. An dem Geld würden sich doch wieder nur die Staatsbeamten bereichern, argwöhnt man in der Bevölkerung.

Andere, etwa der äthiopische Oppositionspolitiker Berhanu Nera, sehen in den Vorgaben aus den reichen Ländern eine Art Neokolonialisierung. Die G-8-Staaten sollten nicht glauben, sie könnten mit dem Schuldenerlass eine „Demokratisierung nach ihren Vorstellungen“ erkaufen, sagte er. Aus der globalisierungskritischen Ecke wurde gestern die Befürchtung laut, unter guter Regierungsführung würden vor allem „neoliberale Reformen“ verstanden.

Kritischen Beobachtern wie dem NGO-Bündnis „Erlassjahr“ geht der Beschluss zudem nicht weit genug. Die Schulden der Länder bei anderen als den genannten Gläubigern, etwa bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank, würden nicht mit einbezogen. Auch hätte eine umfassende Lösung einen Schuldenerlass für alle armen Länder bedeutet, nicht nur für eine „willkürlich zusammengestellte Gruppe“. Sprecher Jonas Bunte: „Diesen Vorschlag einen hundertprozentigen Erlass zu nennen, ist Etikettenschwindel.“ Statt „mildtätiger Erlasse“ seitens der Gläubiger müsste es künftig Insolvenzverfahren geben, bei denen die Schuldner mit einbezogen werden.

Bis das allerdings so weit ist, wird Bob Geldof noch oft zum Mikrofon greifen und „Wissen sie in Afrika überhaupt, dass Weihnachten ist?“ singen.