Altersfrage bei der Tour de France: Auf anderem Wege
Abseits des optimalen Radprofialters trumpfen sowohl junge als auch alte Fahrer bei der diesjährigen Tour de France auf. Wie machen die das?
Die Tour de France ist wieder einmal für Extreme gut. Junge Radprofis, also jene, die noch das weiße Trikot tragen dürfen, fahren gestandenen Männern davon. Der 24-jährige Tadej Pogacar gehört dazu. Aber auch der Österreicher Felix Gall, 25, trug bei dieser Tour schon das Bergtrikot.
Allerdings trumpfen die Oldies auch auf. Michael Woods, 36 Jahre alt, holte auf der Hitzeschlacht zum Puy de Dome den Etappensieg. Es war sein allererster, trotz zehn Profijahren. Erfahrung spielte natürlich eine Rolle.
Der Kanadier teilte sich seine Kräfte perfekt ein, ging erst auf den letzten Kilometern auf Alleinfahrt und holte nach und nach spektakulär die vor ihm ausgerissenen Fluchtkollegen ein.
Woods ist indes auch ein eher ungewöhnliches Beispiel. Denn er stieg außergewöhnlich spät in den Profiradsport ein, mit Mitte 20. „Ich war schon in dem Alter, indem manche Radprofis auszubrennen beginnen, als ich überhaupt mit dem Profiradsport begann“, erzählte Woods einmal. Der Kanadier war früher Leichtathlet, brachte also Trainingserfahrung und gewisse Grundausdauer mit.
Spätstarter im Radsport
Was die spezifische Belastung der Muskelgruppen angeht, die im Radrennsport gebraucht werden, war er aber ein Neuling. Nimmt man Tadej Pogacar zum Vergleich, dessen erste ernsthafte Leistungsmessungen als Radsportler im Alter von 14 Jahren erfolgten, dann haben der Etappensieger der 9. Etappe dieser Tour, eben Woods, und auch der Etappensieger der 6., Pogacar, beide ungefähr eine Dekade Radsporttraining hinter sich. Von den Geburtsurkunden liegen sie weit auseinander, gemessen am Radsportalter sind sie aber fast Zwillinge.
Das relativiert die Extreme. Allerdings wartet diese Tour mit Oldies auf, die fast drei Mal so lange Radsport betreiben wie Pogacar. Dries Devenyns etwa, verlässlicher Helfer von Sprinter Fabio Jakobsen bei Soudal Quick Step, ist schon 38 Jahre alt. 18 Jahre ist er allein als Profi unterwegs. Gut, er gewinnt nicht mehr, er hat überhaupt wenig gewonnen. Aber er ist, als fast 40-Jähriger, immer noch fit genug für eine Tour de France.
Als das beste Alter für Tour de France-Fahrer galt lange Zeit die Spanne zwischen 27 und 33 Jahren. Lange Trainingsphasen, Saison über Saison, bringen die Ausdauerfähigkeiten auf ein Maximum. Die optimale Balance zwischen Muskelfasern und Körpergewicht zu finden, ist auch eine Frage von Erfahrung. Und wer nicht nur an einem Tag super klettern, sondern am Ende der dritten Woche immer noch am schnellsten auf den Rampen oben sein will, für den sind Widerstands- und Erholungsfähigkeit von großer Bedeutung. Das braucht ebenfalls Zeit.
Man kann es teilweise trainieren, teilweise ist das aber auch genetisch vorgegeben. Deshalb können eine Tour de France auch nicht 176 Fahrer gewinnen, sondern nur fünf oder sechs pro Ausgabe. Und der Rest der etwa 170 Starter konzentriert sich auf Subdisziplinen wie Sprint oder Ausreißen oder ganz simpel auf Helferdienste.
Dass in den vergangenen Jahren auch in Rundfahrerkeisen eine Jugendwelle zu verzeichnen war, hat gewiss mit einer Professionalisierung des gesamten Systems zu tun. „Auch in den Nachwuchsrennställen wird bereits wissenschaftlich gearbeitet. Trainingsmethoden von uns sickern nach unten durch“, meint Matxin Fernandez, Sportdirektor bei Pogacars Rennstall UAE.
Jüngster europäischer Radsportler mit einem Profivertrag ist der 17-jährige Seppe van den Boer. Er ist beim belgischen Cross-Rennstall Baloise Trek Lions angestellt, der von der Gelände-Legende Sven Nys gemanagt wird. Die Jungen drücken also weiter.
Und die Alten treten nicht nur nicht ab, sondern werden durch Seiteneinsteiger wie Woods oder auch den Ex-Springer Primoz Roglic verstärkt. Etwas Normalität gibt es aber doch noch. Das schnellste Rennen auf WorldTour-Niveau in dieser Saison war mit 47,7 km/h die achte Etappe der Tour de France. Die gewann Ex-Weltmeister Mads Pedersen. Er ist 27, also genau im Normalalter für Höchstleistungen im Straßenradsport.
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