berliner szenen
: Was nicht erwähnt wird

Im Zug von Przemyśl nach Berlin. Ich steige in Krakau zu. In meinem Abteil sitzen vier Männer um die vierzig. Interessiert schauen sie aus dem Fenster und kommentieren lebhaft, was sie da draußen sehen: Weizenfelder, Mais wird auch angebaut, Bohnen, Kartoffeln. „Überhaupt keine Sonnenblumen! Wahnsinn!“, ruft der Kleinste aus. Breiter, flacher Kopf auf stabilem untersetzten Körper. Ungläubiges Kopfschütteln bei den anderen drei. Alle vermissen die Sonnenblumenfelder der Heimat.

Dann wechselt man das Gesprächsthema. Die vier werden von Berlin aus nach Antalya in den Urlaub fliegen. Zwei große Rollkoffer liegen oben im Gepäckfach. Man orakelt über die Wassertemperatur dort, malt sich zu viert Nächte voller Tequila aus, die irgendwo enden, und lacht voll lauter Vorfreude. Alle vier sprechen ein Kauderwelsch aus Russisch und Ukrainisch und sind sicher schon in Przemyśl an der polnisch-ukrainischen Grenze in den Zug nach Berlin gestiegen.

Sie sprechen gedämpft, fast leise. Kosenamen fallen. Die vier reden konsequent nur über das, was gerade ist und sein wird. Nie über das, was war. Kein einziges Mal fällt das Wort Krieg, als hätten sie eine geheime Verabredung, genau das nicht zu erwähnen. Aber einer geht an Krücken. Er kann sein linkes Bein nicht beugen.

Ich höre ihnen zu, schaue immer wieder in die Gesichter mit den weichen Gesichtszügen. Was haben sie erlebt? Wo kommen sie genau her? Ist das ihr Fronturlaub? Fragen über Fragen, die ich nicht stelle, weil sie darüber nicht sprechen wollen.

„Hat der Zug schon Verspätung?“, fragt der eine irgendwann. „Nein“, antwortet der andere. „Das ist ein polnischer Zug und nicht die Deutsche Bahn.“ Die schlechte Reputation der Deutschen Bahn hat sich also aogar schon bis in die Ukraine herumgesprochen. Katja Kollmann