„Ich war die Brasilianerin aus der Gynäkologie“

Juliana Silva*, 31 Jahre, aus Brasilien. Sie lebt seit 2016 in Deutschland und arbeitet als Krankenschwester in Hessen

Ich wollte nie im Ausland leben. Ich war gerade am Ende meines Studiums und bereitete mich auf eine Spezialisierung in der Geburtshilfe vor, als ich von dem Anwerbeprogramm für Krankenschwestern und -pfleger aus Deutschland hörte. Ich wusste nichts vom Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich. In meiner Naivität hörte sich das nach einer unschlagbaren Chance an. Ich hatte keine Kinder, war jung und lebte bei meiner Mutter. Die Spezialisierung konnte warten.

Die Unterlagen, die ich für die Auswanderung benötigte, waren sehr spezifisch. So musste ich mir zum Beispiel eine detaillierte Aufschlüsselung aller praktischen Studienfächer beim Immatrikulationsamt meiner Universität besorgen und sie übersetzen lassen. Die Übersetzungen mussten anschließend beglaubigt werden, was nur bei spezialisierten Notaren außerhalb der Stadt möglich war. Für die Anerkennung der Dokumente war wiederum das Krankenhaus in Hessen zuständig, für das ich künftig arbeiten sollte.

Ich kam im Oktober 2016 in Deutschland an. Der Anfang war schrecklich. Wir waren 13 Krankenschwestern und die ersten Brasilianerinnen, die das Unternehmen jemals eingestellt hatte. Eine Art Testgruppe. Wir erlebten eine Reihe von Enttäuschungen. Angefangen mit dem Deutschkurs in Brasilien, der weder die Fachterminologie noch nützliches Vokabular für den Pflegealltag enthielt. Wir haben auch keine wirkliche Einweisung im Krankenhaus selbst erhalten. Wir haben einfach angefangen zu arbeiten.

Ich dachte, dass wir angesichts des Personalmangels gut aufgenommen werden. Doch das Gegenteil war der Fall. Unsere Kolleginnen und Kollegen waren nicht auf unsere Ankunft vorbereitet. Informationen über unseren beruflichen Hintergrund und unsere Deutschkenntnisse wurden nicht richtig vermittelt. Die sowieso schon überforderten MitarbeiterInnen mussten uns nun also zusätzlich noch beibringen, wie alles funktioniert. Kein Wunder, dass sie da ungeduldig wurden. Trotzdem fand ich es menschlich enttäuschend, dass sie mit den Augen rollten, wenn wir etwas nicht kapierten, und dass sie uns auf Schritt und Tritt testeten und kontrollierten.

Es gab auch kein Interesse daran, uns besser kennenzulernen. Stattdessen bezeichneten sie mich oft als „die Brasilianerin aus der Gynäkologie“.

Die übergriffige Oberschwester

Bei einer Operation versuchte eine Kollegin, mich in Verlegenheit zu bringen: „Hey, kannst du mir erklären, was das für ein Verfahren ist?“ Natürlich konnte ich das. Nur anfangs nicht auf Deutsch. Selbst unter uns durften wir kein Portugiesisch sprechen. Einmal, vor dem Gebäude, in dem wir wohnten, unterbrach die Oberschwester unser Gespräch, um uns zu sagen, dass wir Deutsch sprechen müssten. Wir waren nicht mal im Krankenhaus.

Eine Situation hat mich besonders irritiert. Am Ende eines technischen Kurses wurde der Vertrag einer deutschen Auszubildenden nicht verlängert. Ich bereitete gerade chirurgische Instrumente vor, als ich eine Kollegin sagen hörte: „Ich verstehe das nicht. Die holen lieber Ausländer, als uns Deutsche einzustellen.“ Als sie merkte, dass ich mit im Raum war, sagte sie, sie habe nichts gegen mich. Aber wie sollte ich es anders verstehen, wenn ich auch Ausländerin bin?

Ich bekam Angst, zur Arbeit zu gehen. Ich fragte mich: „Wie wird es heute sein? Wie werden sie mich behandeln?“ Ich habe oft daran gedacht zu kündigen. Ich blieb nur wegen der zweijährigen Verpflichtung, die ich eingegangen war, und den 5.000 Euro, die ich im Falle eines Ausstiegs hätte zahlen müssen. Und es war nicht nur für uns Brasilianerinnen schwierig. Von der Gruppe der Spanierinnen, die unserer vorausgegangen war, ist niemand mehr da. Sie sind alle zurück in ihre Heimat gegangen.

Bei mir haben die Dinge unverhofft eine andere Wendung genommen. Kurz vor Ablauf der zwei Jahre lernte ich meinen Freund kennen. Am Ende blieb ich der Liebe wegen und weil ich hier meinen Sohn mit mehr Ruhe und Sicherheit großziehen kann.

Letztes Jahr habe ich ein Instagram-Profil mit Inhalten über die Pflege und Tipps für BrasilianerInnen, die in Deutschland arbeiten möchten, erstellt. Ich möchte anderen dabei helfen, bessere Erfahrungen zu machen als ich. Mein Freund hatte dann die Idee, eine Anwerbeagentur zu eröffnen, ähnlich wie die, die mich hierher gebracht hat. Wir haben bereits die ersten Schritte unternommen. Wir haben zwei Websites eingerichtet: eine für Krankenhäuser und die andere für brasilianische Fachkräfte. Wir haben viele Bewerbungen erhalten. Unser Hauptaugenmerk liegt nun darauf, den Kontakt zu den Krankenhäusern herzustellen. Da gibt es noch viel zu tun. Aber wir haben Zeit. Protokoll: Fernanda Thome