Protest darf spontan sein

Weil er eine Kundgebung gegen Zwangsräumungen organisiert haben soll, musste ein Bremer vor Gericht. Der Richter sprach ihn nun frei. Auch die Aussagen von Polizisten hatten ihn entlastet

Wer ist hier verantwortlich? Das wüsste die Polizei gern. Kundgebung im Juli 2021 im Bremer Viertel Foto: Lisa Bullerdiek

Von Franziska Betz

Das Bremer Amtsgericht hat Otto Schulte* am Freitag freigesprochen. Entlastet haben ihn auch die Aussagen der Polizeibeamten, die als Zeugen aussagten. Schulte war zur Last gelegt worden, eine Versammlung „vermeintlich ohne Anmeldung“ organisiert und durchgeführt und erst vor Ort angemeldet zu haben. Bei der Versammlung handelte es sich um eine Kundgebung gegen eine Zwangsräumung, die am 13. Juli 2021 im Bremer Viertel stattfand. Dem Mieter der Wohnung war gekündigt worden, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen nicht auf Briefe des Vermieters geantwortet hatte.

In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter, dass „ganz schön deutlich“ geworden sei, dass Schulte nicht Veranstalter der Versammlung war. Auch habe er diese vor der Anmeldung nicht koordiniert. Nach seiner Einschätzung handelte es sich um eine Eilversammlung, da ein gewisser Organisationsgrad zu erkennen gewesen sei. Teil­neh­me­r*in­nen hatten Transparente und unter anderem eine Musikanlage dabei gehabt.

Eilversammlungen müssen laut Gesetz angemeldet werden. Eine klare Frist gibt es aber nicht. Für eine Verurteilung hätte die Staatsanwaltschaft Schulte nachweisen müssen, dass er die Versammlung gezielt veranstaltet hatte, ohne sie davor anzumelden.

Während der Verhandlung am Freitag hatte ein Polizeibeamter, der als Zeuge vernommen wurde, ausgesagt, dass Schulte sich auf die Frage, ob „sich jemand als Versammlungsleiter zur Verfügung stellen würde“, gemeldet hatte. Am ersten Verhandlungstag hatte ein anderer Polizist bereits Ähnliches ausgesagt.

Ein zweiter Verhandlungstag war nötig geworden, weil der Vertreter der Staatsanwaltschaft am ersten angekündigt hatte, für eine Verurteilung zu plädieren. Der Richter hatte bereits durchblicken lassen, dass es für ihn nach der ersten Beweisaufnahme nach einem Freispruch aussehe. Da er aber ein „wasserdichtes“ Urteil wollte, lud der Richter noch den zweiten Zeugen.

Die Aussage des ersten Zeugen, ein Polizist, der vor Ort den Einsatz leitete, hatte den Angeklagten bereits entlastet. Er habe ein „sachliches und kooperatives Gespräch“ mit Schulte gehabt, sagte dieser. Auf die Frage nach einem Versammlungsleiter habe sich Schulte vor Ort „hervorgetan“. Schulte sei davor „nicht in leitender Position erkennbar tätig“ gewesen.

Bei beiden Zeugen wurde deutlich, wie wichtig es auch für Po­li­zis­t*in­nen ist, dass es bei Eil- oder Spontanversammlungen Ver­samm­lungs­lei­te­r*in­nen gibt, da diese die Arbeit der Polizei deutlich erleichtern.

Schultes Rechtsanwalt Jan Lam wies in seinem Plädoyer darauf hin, dass auch das Versammlungsgesetz ein Teil des Problems ist: Es sieht einerseits vor, dass auch unangemeldete Versammlungen ei­ne*n Ver­samm­lungs­lei­te­r*in brauchen – zugleich kann aber bestraft werden, wer eine unangemeldete Demonstration durchführt. „Das Bundesversammlungsgesetz ist ein schlechtes Gesetz“, sagte Lam, „denn es sind politische Interessen darin abgebildet.“

„Das Bundes-versammlungsgesetz ist ein schlechtes Gesetz, denn es sind politische Interessen darin abgebildet“

Jan Lam, Rechtsanwalt

Lam hatte der taz im Vorfeld des Prozesses bereits gesagt, dass er glaube, das hinter dem Verfahren „die Kriminalisierung einer politisch unerwünschten Bewegung“ stehe. Auch ein Schreiben der Bremer Kriminalpolizei, das Schulte im März in seinem Briefkasten fand, weist darauf hin, dass es den Sicherheitsbehörden darum geht, den Mie­te­r*in­nen­pro­test einzuschüchtern: Die Kriminalpolizei fragt ihn darin als Anmelder, wer denn „Verantwortlicher“ des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ sei. Für Ermittlungen sei dies von Bedeutung, schreibt die Polizei in dem Brief, der der taz vorliegt. Auch mehrere andere Personen hätten dieses Schreiben erhalten, sagt Schulte. Er versteht es als Versuch „Einzelne persönlich einzuschüchtern“.

Das Bremer Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ hatte damals spontan in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, die Kundgebung zu unterstützen. In einer Mitteilung im Vorfeld des Prozesses kritisierte das Bündnis das „martialische Polizeiaufgebot“, das im Juli 2021 gegen die Kundgebung aufgefahren worden war. Dass die Hansestadt Bremen ein solches Aufgebot auffährt, um eine friedliche Protestaktion gegen Verdrängung und Wohnungslosigkeit gewaltsam zu beenden, zeigt wie achtlos Bremen mit den Wohnungen von Mieterinnen und Mietern umgeht“, teilte das Bündnis mit. Für den ersten Prozesstag hatte es dazu aufgerufen, den Angeklagten vor Gericht zu unterstützen.

* Name geändert