Drei Millionen im Dauerminus

Immer mehr Privatleute sind überschuldet. Beratungsstellen können helfen. Doch deren Mittel werden stark gekürzt. Dabei rettet fachlicher Beistand jeden Zweiten aus der Krise

BERLIN taz ■ Mehr als 3,13 Millionen Haushalte in Deutschland sind überschuldet. Das sind rund 400.000 mehr als noch vor vier Jahren. „Damit ist Überschuldung ein gesellschaftliches Problem und darf nicht länger tabuisiert werden“, sagte Iris Spranger, stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, gestern in Berlin. Mit der dort eröffneten bundesweiten Aktionswoche „Der Mensch hinter den Schulden“ will die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände gegen Vorurteile ankämpfen und auf die Probleme der Betroffenen hinweisen.

3,13 Millionen Haushalte – das entspricht rund neun Millionen Menschen, die in Deutschland in der Schuldenfalle stecken. Die Gründe sind vielfältig: Verlust des Arbeitsplatzes, Scheidung oder eine schwere Krankheit. Und es gibt Menschen, die schlicht nie gelernt haben, mit Geld umzugehen. „Vorwürfe aber helfen den Betroffenen nicht weiter“, sagte Georg Cremer, Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes. Er fordert kompetente Unterstützung durch Schuldnerberatungsstellen.

Bis zu zwei Jahre allerdings müssen Überschuldete in Deutschland auf die helfende Beratung warten. Das ist genug Zeit für private Schuldnerberater, die teils am Rand der Legalität arbeiten und die Notsituation dieser Menschen ausnutzen. Cremer fordert daher, die Schuldnerberatungsstellen deutlich auszubauen.

Für die Finanzierung der Schuldnerberatungen sind die Bundesländer verantwortlich, die aber würden ihre Mittel kontinuierlich zurückfahren, sagte Peter Ruhenstroth-Bauer, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Hessen gar hätte die Mittel komplett gestrichen. „Das ist unverantwortlich und fatal“, sagte Ruhenstroth-Bauer, schließlich gelänge es mit der Hilfe der Berater jedem zweiten Betroffenen, einen Weg aus der Verschuldung zu finden. In der Pflicht sieht er daher auch die Banken, die sich an der Schuldnerberatung finanziell beteiligen sollten.

In schweren Fällen bleibt den Betroffenen nach der Beratung oft nur die private Insolvenz. In einem gerichtlich geregelten Verfahren trägt der Schuldner in einer siebenjährigen „Wohlverhaltensperiode“ einen möglichst großen Teil seiner Schulden ab, vom Rest wird er dann befreit. Im vergangenen Jahr hatten 49.123 Menschen dieses Verfahren beantragt, ein Anstieg um 46 Prozent. Privatleute erklärten damit knapp 10.000-mal häufiger den finanziellen Bankrott als Unternehmen. Ein Trend, der weiter anhält: Im ersten Quartal diesen Jahres sind die Verbraucherinsolvenzen bereits um 35,7 Prozent angestiegen.

Ein Haushalt gilt dann als überschuldet, wenn das Einkommen und Vermögen schlicht nicht reicht, um die monatlichen Fixkosten wie Miete zu bezahlen – auch wenn der Lebensstandard deutlich gesenkt wird. Betroffene geraten dann häufig in einen Teufelskreis. Wenn ihnen aufgrund der Schulden das Girokonto gekündigt, haben sie noch größere Probleme, eine Wohnung oder Arbeitsstelle zu finden. In Deutschland sind davon mehrere hunderttausend Menschen betroffen. Georg Cremer von der Caritas fordert ein Recht auf ein Girokonto – während der Aktionswoche sollen Postkarten an die Mitglieder des Bundestages geschickt werden. Geplant sind weitere Veranstaltungen wie beispielsweise die lange Nacht der Schuldnerberatung am 16. Juni in Berlin.

MADLEN OTTENSCHLÄGER