Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic
: Mille baci und viel Nebel

Foto: privat

Samstagabend in Wedding, im Panke Club ist Nyege Nyege Club Nacht. Sara Persico legt auf: Kastagnettenartige Rhythmen, schrille, abstrakte Klänge, dazu verspielte Beats und tiefe Bässe, die über den Boden gleiten und die Hosenbeine vibrieren lassen. Das Neonlicht flackert, die Tanzfläche ist fast voll, die Menschen tanzen im Disconebel.

Nach Sara Persico betreten Phelimuncasi die Bühne. Die drei MCs Malathon, Makan Nana und Khera aus Durban in Südafrika singen und rappen zu elektronischen Drumsounds und Bässen. Dabei wechseln sie zwischen ihrer Landessprache und Englisch. Bei dem Lied „I don’t feel my legs“, bei dem immer wieder heulende Polizeisirenen zu hören sind und nichts Gutes ahnen lassen, hüpfen und singen alle mit. Einer neben mir schreit nach dem Lied: „I don’t feel my legs“. Als dann die Band von der Bühne auf die Tanzfläche kommt und weiter gesungen und getanzt wird, ist der Höhepunkt des Abends erreicht.

Weil es auch spät in der Nacht noch warm ist, ist am Nettelbeckplatz viel los. Auf den Bänken sitzen die Menschen mit ihren Getränken und rauchen. Schlange an der neuen Tantuni-Bude, eine Hochzeitgesellschaft hat Hunger. Vor den Spätis sind die Tische voll, die Nacht will einfach nicht enden.

Am Sonntag stehen viele Menschen vor Freibädern und Eisdielen an, es ist erneut heiß. Am Abend spielt der berühmte italienische Inkognito-Musiker Liberato im ausverkauften Kesselhaus. Er stammt, wie die erfolgreiche Inkognito-Autorin Elena Ferrante, aus Neapel. 2017 veröffentlichte er seine ersten Lieder, bisher hat er zwei erfolgreiche Alben herausgebracht und den Soundtrack für den Netflix-Film „Ultras“ über die Fankultur des Fußballvereins SSC Neapel komponiert. Aus diesem Grund tragen viele Fans von Liberato Maradona Trikots oder Fußballschals des SSC Neapel.

Zu Beginn des Konzerts hauen zwei Maskierte mit Sonnenbrille, Käppi, Halstuch überm Mund, in dicken, schwarzen Jacken auf Trommeln ein, passend dazu blitzen große LED-Leuchten auf. Schließlich gesellt sich Liberato im selben Tarn-Outfit zu seinen Mitmusikern und bedient zunächst eine große Handkurbel-Sirene. Jetzt ist richtig Alarm, der Nebel kommt, das Bühnenlicht flackert, irgendwann ist alles rot. Hallo Berlino, der ganze Saal klatscht vor Freude, nun ist es richtig heiß.

Anderthalb Stunden dauert das Konzert, bei dem der mysteriöse Musiker R&B-, Elektro-, Drum’n’Bass und Hip-Hop mit der neapolitanischen „Neomelodico“-Tradition vermischt. Einerseits gibt es Mitgröhl-Lieder, bei denen der Rhythmus schnell ist, gnadenlos im 4/4-Takt und alle die Arme in die Luft strecken. Andererseits gibt es auch die zuckersüßen, ruhigen Nummern, sogenannte Limonaden, die Liberato romantisch vorträgt, so weit es seine Tarnung zulässt, man kann sich nur vorstellen wie er hinter der Fassade seine Augen gefühlvoll zusammenkneift.

Bei diesen Liedern halten sich die Pärchen im Publikum dann oftmals richtig fest und knutschen, mille baci.

Ähnlich wie die Musik, so ist auch die Liberato-Sprache ein Hybrid: Immer wieder vermischt sich das Italienisch, das in Neapel gesprochen wird, mit englischen Redewendungen wie „please don’t stop the music“, „baby tell me why“ oder „don’t go“.

Es sind bereits sechs Jahre vergangen und immer noch weiß kein Mensch, wer Liberato ist und wie er aussieht. Das ist umso verwunderlicher, weil im Kulturbetrieb Geheimhaltung selten lange funktioniert. Als sich Liberato und seine beiden Musiker zum Abschluss höflich vor dem Publikum verneigen und abtreten, die Türen aufgestoßen werden und recht zögerlich die ersten Besucher den Konzertsaal verlassen, braust ein weißer Kombi mit dunklen Scheiben um die Ecke. Ciao, ciao.