Altern und Sterben in der Zukunft: Schwermut der Bauvorhaben
Altsein ist relativ, Gesundheit auch. Nur eins ist sicher: die ganz irrationale Angst vor dem Tod. Außer man ist natürlich Katholik.
W ir schreiben das Jahr 2047. Ich bin eigentlich ganz happy, dass ich das noch erleben darf. Denn gerechnet habe ich nicht unbedingt damit.
Früher unkte man gerne, wer rauche und trinke, werde weniger alt. Aber erstens ist „weniger alt“ relativ und bedeutet heute nur noch: unter hundert. Und zweitens stimmt das mit dem Rauchen und Trinken gar nicht; neueren Artikeln zufolge ist das sogar sehr gesund. Um mich herum sterben die Asketen wie die Fliegen. Sie haben aufs falsche Pferd gesetzt.
Man kennt das ja: Medizinische Erkenntnisse ändern sich alle naselang wie die Mode. So mahnten Ärzte jahrelang, Teflon sei krebserregend; auch solle man keinesfalls Wasser trinken und unreife Stachelbeeren dazu essen.
Dann wieder hieß es, Teflonpfannen könne man praktisch mitessen wie Suppenschalen aus Brot, das wäre scheißegal, und grüne Stachelbeeren wären ohnehin Superfood.
Oder ein Virus galt erst als krass gefährlich, und nur drei Jahre später ist es auf einmal völlig harmlos, außer für diejenigen, die schwer daran erkranken.
So brauchte ich nur darauf zu warten, bis der Wind der Wissenschaft sich drehte, und endlich ist es so weit. Der kritische Blog „The Final Truth: Was die Anderen verschweigen“ bringt es an den Tag: „Sieben Fässer Wein können uns nicht gefährlich sein.“
2G-Mast in 2052
Da bin ich froh, denn Anfang der 2020er Jahre, also bereits fett in meinen Fünfzigern, bemerkte ich auf einmal, mit welch tiefer Schwermut mich nun regelmäßig der Anblick von Schildern erfüllte, die weit in der Zukunft liegende Bau- oder Restaurationsvorhaben wie folgt ankündigten:
„Erneuerung der Kacktalbrücke über die BAB 17 bis 2042“, oder: „Telekommunikation Prignitz: Hier könnte bis 2052 ein halber 2G-Sendemast errichtet werden.“
Mir fiel nämlich ein, dass ich dann oft schon tot, oder zumindest auf abscheuliche Art alt sein würde, und ich habe eine ganz irrationale Angst vor dem Tod. „Der Tod is Brudi, der meint es gudi“, tröstet mich mein Futurologe Zbigniew. Aber der hat gut reden als gläubiger Katholik. Sterben ist für die wie für andere ein Wannenbad, wenn auch mit dunklem Schaum.
Dazu kommt bei mir sicher die Furcht, dass man von den Jüngeren nur noch als so eine Art lästiger Zombie gesehen wird.
Dabei ist man doch derselbe Mensch, der man immer war, nur eben wie lebendig eingemauert in einem uralten und unbeweglichen Körper, aus dem heraus man in einem fort stumm um Hilfe schreit: „Hallo, ich bin es doch, ich fühle und denke genauso wie ihr dort draußen.“
Doch niemand kann (oder will?) einen hören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen