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Mehr oder weniger im Griff

Der 3:2-Sieg des FC Barcelona im Champions-League-Finale gegen Wolfsburg markiert eine Zeitenwende

„Das tut brutal weh“: Alexandra Popp und Lena Lattwein trauern   Foto: dpa

Aus Eindhoven Alina Schwermer

Beinahe wäre es wahrhaftig ein Märchen geworden aus Wolfsburger Sicht. Nach einer verkorksten Bundesliga-Rückrunde, in der die Wölfinnen fünf Punkte Vorsprung auf den FC Bayern verspielten und die Meisterschaft hergaben, hätte um ein Haar ein Champions-League-Sieg gegen den großen FC Barcelona gestanden. Natürlich hätte es dafür noch einiges mehr an Glück bedurft in diesem Finale, das Barcelona hochverdient mit 3:2 gewann. Und dennoch: Gegen den Weltklub, der mittlerweile finanziell wie strukturell wie spielerisch enteilt ist, war der beherzte VfL eine Halbzeit lang ganz nahe dran an der Sensation. „Wir hatten das Gefühl, dass wir Barcelona mehr oder weniger im Griff hatten“, gab hinterher eine konsternierte Alex Popp zu Protokoll. Mit 2:0-Führung war Wolfsburg völlig überraschend in die Pause gegangen, herausragend hatten sie Barca beackert. Und dann in 108 Sekunden alles verspielt, als Barca zweimal traf. Angesichts dieses Dramas fiel auch Popp nicht viel ein außer: „Das tut brutal weh.“

Dabei schien sich im Stadion in Eindhoven zunächst Geschichte zu wiederholen. Wie beim EM-Vorrundenspiel der Deutschen gegen Spanien im letzten Sommer spielten die Spanierinnen brillanten Fußball, aber die Deutschen hatten den besseren Plan. Dieser Plan ging schon in der 3. Minute auf, als Ewa Pajor nach hohem Pressing den Ball von Lucy Bronze eroberte und kurz entschlossen abzog. Zwar hatte das weltbeste Kollektiv um Aitana Bonmatí in der Folge meist den Ball und jede Menge Strafraumszenen, aber richtig gefährlich wurde es selten. Auch, weil entfesselt rennende Wolfsburgerinnen die Katalaninnen oft schon an deren eigener Strafraumgrenze unter Druck setzten, doppelten, jeden Zweikampf suchten. Ja, da hatte VfL-Trainer Tommy Stroot wohl ein wenig Voss-Tecklenburg geguckt.

Und als die Favoritinnen zunehmend genervt auch mal Fehlpässe spielten, suchte der VfL sein Heil in schnellen Gegenstößen. Oft mit langen Schlägen auf Popp, die mit dem Kopf weiter auf die Außenbahn verteilte. In der 37. Minute war es Popp selbst, die per Kopf zur 2:0-Führung erhöhte. Barcelona hatte den Ball, Wolfsburg machte die Tore – so hätte das Wolfsburger Märchen enden können. Aber die Verhältnisse, sie waren nicht so. Barcelona, so lautet gern eine Kritik am nie endenden Passspiel, kennt nur eine Spielweise, sie können nur Barcelona spielen. Aber was soll das schon heißen, wenn es das eleganteste Spiel der Welt ist? Zwei Aktionen nach der Pause reichten, um die Deutschen schwindelig zu spielen: 108 Sekunden mit dem Doppelschlag durch Patri Guijarro. Es reichte für Barca, ein bisschen mehr auf die Außenbahn auszuweichen und damit den Wolfsburger Block auseinanderzuziehen. Es reichte, dass Wolfsburg eben nicht sattelfest in der Defensive stand und Lynn Wilms und Kathrin Hendrich beim 2:3 ein peinlicher Abstimmungsfehler unterlief. Es reichte, dass Barcelona Weltklasse von der Bank hatte und Wolfsburg Mittelklasse.

Die Begeisterung im Stadion: so innig wie angenehm unaggressiv

Die Wachablösung an der europäischen Spitze der Frauen, die lange prognostiziert wurde, ist spätestens mit diesem Finale vollzogen: Der FC Barcelona hat Olympique Lyon überholt, und er hat das mit unvergleichlich stilvollem Spiel getan. Auf den Tribünen indessen war der Wandel zu beobachten, der sich schon bei der EM in England angedeutet hat: Im ausverkauften, Barca-dominierten Stadion von Eindhoven tummelte sich viel junge Crowd, sehr weiblich, sehr divers, mit gleichermaßen inniger wie unaggressiver Begeisterung. Hier blitzte die Möglichkeit eines anderen Fußballs auf. Eines Fußballs, in dem sich nun auch der VfL Wolfsburg neu zurechtfinden muss. Viel sprach man nach der Partie zu Recht von Stolz auf die eigene Leistung. Aber klar ist auch, dass es für Klubs wie Wolfsburg schwerer werden wird, das Finale noch zu erreichen.

Jedes Fußballspiel deutet mehrere Optionen einer Heldinnensaga an. Im Falle eines Wolfsburger Siegs hätte neben dem Phänomen Alex Popp vielleicht die stille Ewa Pajor im Zentrum gestanden, die sich zwischenzeitlich in der Liga schwergetan hatte und nun perfekt die Wolfsburger Effizienz und Unermüdlichkeit verkörperte. Aber dieses Drehbuch hat Wolfsburg in Halbzeit zwei aus der Hand gegeben. Spätestens, als kurz vor Schluss die langzeitverletzte Weltfußballerin Alexia Putellas auf den Platz zurückkehrte, als Putellas für Barca die Trophäe entgegennahm, war auch emotional gewiss, wer die würdigen Hauptdarstellerinnen dieses spektakulären Spiels waren.

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