berliner szenen
: Pointierte Berliner Arroganz

Nachdem ich drei Uhr nachts zu Hause angewankt bin, muss ich mit Erschrecken feststellen, dass der Dreh meiner Szenen von zwölf auf acht Uhr vorverlegt wurde. Man hatte mich gefragt, mit meiner Musik in einem Kurzfilm aufzutreten. Um sieben erhebe ich mich stöhnend, dusche und radle los zum Kaputten Heinrich. Auf Alt-Moabit Richtung Turmstraße wird gebaut, also fahre ich ein paar Meter übers Trottoir. „Dat is aber ’n komischer Radweg“, wirft mir ein Rentner entgegen. Mir fällt keine coole Erwiderung ein, und ich bin jugendlich gedemütigt. Als Sachse finde ich es interessant, dass die pointierte Arroganz, die man Berliner Schnauze nennt, sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Ich komme im Heinrich an und beginne mit leichtem Tremor auf meinen Auftritt zu warten.

Um kurz nach elf meldet sich mein Kater mit voller Wucht zurück, und ich überlege mir, auf Produktionskosten Gin Tonic am Tresen zu bestellen, um den Schaden zu begrenzen. Ich stelle mir vor, dass Marilyn Monroe es sicher auch so getan hätte – Til Schweiger mit Sicherheit. Da sich alles nach hinten verschiebt, sitze ich mit ein paar Berliner Originalen im Hinterraum und rauche. Die Wirtin hatte darauf bestanden, dass die Stammkundschaft trotz des Drehs im Raucherzimmer Bier trinken darf.

Angespornt von der Selbstverständlichkeit, mit der in meiner Umgebung Alkohol konsumiert wird, bricht mein Wille. Es folgen zwei Stunden Schultheiß, Kreuzworträtsel und ein Rennen um die flottesten Sprüche, bei dem ich den letzten Platz belege. Endlich bin ich dran, ich singe 25-mal eine meiner Schnulzen. Als ich in den Raucherraum zurückkehre, wird applaudiert, man hatte mich via Shazam im Netz gefunden. Die süße Rührung der Eitelkeit ergreift mich, die narzisstische Kränkung vom Morgen ist ausgeglichen. Tim Mettke