neues aus der baukultur
: Baustellenzäune erfordern eine eigene Ästhetik

In Köln steckt der Wurm. Er ist ziemlich groß und wühlt sich vom Dom nach Süden. Gelegentlich taucht er auf und hinterlässt Auswurfshügel, die sich als Baustellen tarnen. An frischen, tiefen, bebauten oder zugeschütteten Löchern stehen Silos und Kräne, Baumaterial liegt malerisch herum. Von bunt gemischten Zäunen wird alles notdürftig zusammengehalten.

Baustellen sind nichts Neues. Seit Jahren weiß die Verwaltung, was auf sie zukommt. Wieso ist kein Gedanke an die Ästhetik von Baustellen verschwendet worden. Mann kann Bauzäune gestalten, ja man hätte für diese Dauer und diesen Umfang neue entwerfen und herstellen können. In Berlin sah ich eine Baustelle mit quadratischem Grundriss, wie von Ungers entworfen. Und in Venedig vor dem Dogenpalast ist eine mit horizontalen Holzlamellen verkleidet, im neuesten Stil, von schreinartig eingelassenen Hinweisen zu Anlass und Ziel ganz zu schweigen.

Man kann Baustellenzäune mit Werbung bekleben, man kann Kinder auf sie malen lassen. Man kann auf ihnen die Stadt erklären, das Versteckte zeigen, das Kommende erläutern, die archäologischen Funde vorstellen, und sie können mit Gucklöchern versehen werden – kurz: Es gibt Möglichkeiten, aus der Not eine unterhaltsame Tugend zu machen – für die Kölner, die das Ganze zahlen, und für die Touristen, die gute Erinnerungen haben sollten.

Der Alter Markt ist unwirtlich, die Große Neugasse vom Ufer zum Dom eine Zumutung und der Weg vom Waidmarkt zum Chlodwigplatz ein Hindernisparcours. Der Stadtwanderer ist verärgert, aber der Handel leidet: Zwanzig Prozent Umsatzverlust, und im Herbst wird auf Höhe der Kartäusergasse die Severinstraße dichtgemacht. Die Sperrung sollte ein Viertel Jahr und wird nun 18 Monate dauern – das wird mancher Laden nicht überleben.

Als der Wurm zu dicht an St. Johann Baptist vorbeizog, neigte sich der Turm. Das war ein Fanal: Die Kirche wankt, die Leitkultur befindet sich in Schieflage. Parallelgesellschaften haben die Zeichen der Zeit erkannt, ihre Imbisse und Discounter füllen die Vakanzen. Wozu den eh nicht schönen Kirchturm wieder aufrichten? Reißt ihn ab und baut in privilegierter Partnerschaft ein Minarett! Die Severinstraße wird nach dem U-Bahnbau nicht wiederzuerkennen sein – das war so nicht geplant, ihr Planer! CORD MACHENS