Der doppelte Schleier

„Ich bin eine Geschichtenerzählerin“: Die Bilder der jungen iranischen Künstlerin Shadi Ghadirian handeln von Farbe – denn Farben sind auch eine Frage der männlich besetzten Macht in ihrem Land. Zurzeit sind sie in der Galerie Rebell Minds zu sehen

VON SEBASTIAN FRENZEL

Es sind die Farben, die einem zuerst ins Auge stechen. Jedes der Bilder zeigt eine Frau in einem bunten Gewand, von Rot über Grün und Blau bis hin zu Violett. Nicht, dass ihnen viel Raum gegeben würde. Ihre Präsenz gewinnen die Farben nicht durch Masse, sondern durch Dynamik, durch den Kontrast, in dem sie stehen. Denn umgeben sind sie von sandigen Grautönen, und über ihnen erstrecken sich weiße Schlieren. „Auf jedem meiner Bilder sollte eine eigene Farbe sein, denn das ist es, wovon diese Bilder handeln: sie handeln von Farbe“, sagt Shadi Ghadirian. Und so, wie sie es sagt, mit einem breiten Lächeln im Gesicht, könnte man fast annehmen, aus ihr spreche die pure Freude an den Gestaltungsmöglichkeiten des Farbspektrums.

Doch hinter dem ästhetischen Kunstgriff steckt mehr als schöner Schein. Denn mit ihren Bildern reflektiert die junge Iranerin die Situation der Frauen in ihrem Heimatland. So merkwürdig es klingt – Farben sind auch eine Frage der männlich besetzten Macht im Iran. „Es ist eine alte Tradition, dass die Frauen in ländlichen Regionen ihre Gewänder, die Tschadors, in bunten Farben tragen“, erklärt Shadi Ghadirian. „In den großen Städten aber sind farbige Tschadors verpönt, denn Farbe wird assoziiert mit der westlichen Welt. Wenn eine Frau in Teheran in einem roten Kleid auf die Straße tritt, dann wird sie abwertend angeguckt. Deshalb laufen dort alle Frauen in Grau oder Schwarz herum.“

Die Unterdrückung der Farbe als Unterdrückung der Frau – das ist es, womit Shadi Ghadirian in ihren Bildern arbeitet. „Du/You“ ist der Name der Werkreihe, und es steckt eine diffuse Aufforderung in diesem Titel, ein Appell, etwas zu tun. Die Reihe besteht aus sieben Fotografien, auf denen jeweils eine Frau in einem bunten Tschador zu sehen ist, die durch eine Glasscheibe blickt. Diese Scheiben hat die junge Iranerin mit breiten, weißen Pinselstrichen bedeckt, sodass man die Frauen nur schemenhaft – also doppelt verschleiert – erkennen kann. Shadi Ghadirian hat sich diese Methode den staatlichen Behörden entliehen, die weiße Pinselstriche als Zensur einsetzen; etwa bei westlichen Frauenmagazinen mit ihren bunt bekleideten Models.

Der behördliche Eingriff gespiegelt im Medium der Kunst: Shadi Ghadirian nutzt die Mimesis als bitterbösen Kommentar zum Status quo. Der ist im Iran noch immer bestimmt vom konservativen Klerus und staatlichen Repressionen, die vor allem Frauen betreffen. Und unter denen auch die Kunst ein Schattendasein fristet. Private Galerien sind rar, Gelder ebenso, und oft wird die öffentliche Präsentation von Kunstwerken einfach ganz unterbunden.

Shadi Ghadirian wurde 1976 geboren, drei Jahre vor der islamischen Revolution, die zwar den Schah vertrieb, aber keine Demokratie brachte. Anders als viele ihrer Künstlerkollegen ist sie dennoch nicht ins Exil gegangen. Und seit dem Amtsantritt von Präsident Chatami, so sagt sie, habe sich die Situation im Iran verbessert: „Es bewegt sich was im Land.“

Dass sich zumal in der iranischen Kunstszene etwas bewegt, davon konnte man sich im Berliner Haus der Kulturen der Welt bereits im letzten Jahr einen Eindruck verschaffen, als iranische Künstler ihre Werke in der Ausstellung „Entfernte Nähe“ präsentierten. Shadi Ghadirian war damals mit einer Arbeit vertreten, die sie international bekannt machen sollte. „Domestic Life“ hieß die Serie von Fotografien, die Frauen im Tschador zeigten, deren Gesichter durch Küchengeräte ersetzt waren.

Statt Augen und Nasen sah man eine Teekanne, ein Bügeleisen oder einen Besen – Sinnbild für ein Rollenverständnis, das die Küchenfertigkeiten der Frau leider oft höher schätzt als ihre Person.

„Ich bin keine gute Hausfrau – ich bin eine gute Geschichtenerzählerin“, platzt es aus Shadi Ghadirian heraus, noch bevor man ihr eine Frage zu dieser Arbeit gestellt hat. Die Geschichte zu diesen Bildern geht so: Nach ihrer Hochzeit bekam Shadi Ghadirian von Verwandten und Freunden allerhand Küchenutensilien geschenkt, die ihre häuslichen Fähigkeiten verbessern sollten.

Dies gelang nicht, doch der ständig wachsende Geräteberg inspirierte die Künstlerin zu ihrer Fotoreihe – Leben und Kunst liegen nahe beieinander in Shadi Ghadirians Werken. Ging es in ihren früheren Arbeiten um die Auslöschung der Identität der Frau, tritt sie in der aktuellen Reihe umso deutlicher hervor.

Da sind die Gesichter der Frauen, da sind ihre intimen Blicke, übertüncht durch weiße Schlieren. Doch die Versuche der Verschleierung führen gerade zu einem gegenteiligen Effekt: Im Wechselspiel von Verbergen und Zeigen wird deutlich, dass das Menschliche nicht vollständig verschwinden kann. Der Kampf zwischen Rot, Gelb und Blau und dem nihilierenden Weiß endet 1:0 für die Farbe – ein Etappensieg.

Shadi Ghadirians Arbeiten werden in den kommenden Wochen ergänzt durch die Fotografien ihrer Kolleginnen Shideh Tami und Bita Fayyazi. In drei Räumen wird man so sehen können, welche Strategien iranischen Künstlerinnen verwenden, um die Grenzen des Sagbaren und des Sichtbaren auszuloten.

„Amazones“ – Gruppenausstellung von drei Künstlerinnen aus dem Iran. Bis 31. August. Galerie Rebell Minds in der Villa Rose, Landsberger Allee 54, Friedrichshain. Mi.–Sa. 16 bis 21 Uhr. Shadi Ghadirian: Du/You Shideh Tami: Frauen/ Diary (Vernissage am 30. Juni); Bita Fayyazi: Road Kill (Vernissage am 19. Juli)