Freunschafts­anfrage aus Peking

China schickt erstmals seit Kriegsbeginn einen Sondergesandten in die Ukraine. Damit reagiert man auch auf Druck aus der EU

Aus Peking Fabian Kretschmer

Nur wenige Stunden, nachdem die ukrainische Hauptstadt Kyjiw von heftigen Explosionen erschüttert wurde, traf am Dienstag hoher Besuch aus Fernost ein: Li Hui, 70 Jahre alt, ist Chinas Mann für eine außerordentlich heikle Mission. Der Diplomat ist aus der Volksrepublik angereist, um „mit allen Parteien über die politische Lösung der Ukraine-Krise sprechen“, wie es vom Außenministerium heißt. Dies tut der Sondergesandte hinter vollständig verschlossenen Türen: Bis auf seinen Reiseplan, der Li von Kyjiw über Warschau bis nach Berlin und Paris führen wird, hat die chinesische Regierung keinerlei Informationen preisgegeben.

Doch seine Entsendung kann durchaus als Reaktion auf den Druck der europäischen Union gewertet werden. Zuletzt hatten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darauf gedrängt, dass sich Peking endlich aktiver für eine Friedenslösung in der Ukraine einbringt. Bislang hatte Staatschef Xi Jinping lediglich einen „12-Punkte-Plan“ in die Waagschale geworfen. Doch das Positionspapier hat in Europa aufgrund der vagen und substanzlosen Inhalte auf ganzer Linie enttäuscht.

Nun also soll es der Sondergesandte Li Hui richten. Seine Personalwahl macht insofern Sinn, als dass er zu den führenden Russland-Kennern der Volksrepublik zählt. Fast seine gesamte diplomatische Karriere hat Li Hui in Moskau verbracht, anfangs noch zu Sowjetzeiten. Er gilt als begeisterter Leser von Tolstoi und Dostojewski, Russisch beherrscht er seit Jahrzehnten fließend. 2019 zeichnete ihn Wladimir Putin mit der renommierten Freundschaftsmedaille aus.

Die Beziehungen zwischen Moskau und Peking waren in der Vergangenheit stets kompliziert bis teilweise feindlich – unter Staatsgründer Mao Tsetung stand man sogar einmal kurz vor einem handfesten Krieg. Doch seit Xi Jinping an der Macht ist, entwickelten sich die bilateralen Beziehungen in nicht gekanntem Maße positiv: Nur wenige Tage vor Beginn der russischen Invasion feierten Xi und Putin in Peking eine „grenzenlose Freundschaft“.

In Europa sorgte die Loyalität der Chinesen gegenüber Putin für einen regelrechten Schock: Peking übernahm seit Beginn des Angriffskriegs die Propaganda russischer Staatsmedien und forcierte den gemeinsamen Handel. Bis heute hat Xi Jinping Russland mit keiner einzigen Silbe öffentlich kritisiert, ja nicht einmal als Aggressor benannt. Stattdessen hagelt es aus Peking im Wochentakt Schuldzuweisungen in Richtung Vereinigte Staaten, die nicht nur den Konflikt provoziert hätten, sondern auch mit ihren Waffenlieferungen „Öl ins Feuer gießen“ würden.

Peking mischt sich zwar nicht direkt mit Waffenlieferungen in den Krieg ein, vertritt aber dennoch strategisch klar prorussische Interessen

Experten beschreiben die chinesische Haltung als „prorussische Neutralität“: Peking mischt sich zwar nicht direkt mit Waffenlieferungen in den Krieg ein, aber hat dennoch klar verteilte strategische Interessen. Rein machtpolitisch sind diese leicht zu erklären: China und Russland sind in ihrem Hass gegenüber der westlichen Weltordnung unter Führung der USA geeint, zudem haben beide Staaten eine über 4.000 Kilometer lange Landesgrenze.

Seit Beginn des Krieges hat sich die Abhängigkeit Russlands zum Reich der Mitte deutlich gesteigert, was sich Peking vor allem in günstigen Öllieferungen auszahlen lässt. Gleichzeitig möchte Xi auf jeden Fall ­verhindern, dass Russland allzu geschwächt aus dem Ukrainekrieg hervorgeht. Denn das schlimmstmögliche Szenario wäre es für die Chinesen, wenn Putin stürzen könnte und potenziell ein prowestlicher Präsident in den Kreml Einzug erhielte.

Angesichts der realpolitischen Gegebenheiten ist die Wahrscheinlichkeit also sehr gering, dass Sondergesandter Li Hui nun in den nächsten Tagen einen diplomatischen Durchbruch erzielen kann. Aus chinesischer Sicht geht es vor allem darum, einen Reputationsgewinn zu erzielen und sich auf der internationalen Bühne als „Friedensmacht“ zu präsentieren.