Türkische Zentralbank leitet Zinswende ein

Der Schritt der neuen obersten Währungshüterin gilt als Schuldeingeständnis Erdoğans

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul

Nach Jahren sinkender Zinsen und steigender Inflation hat die türkische Zentralbank am Donnerstag eine Zinswende eingeleitet. Der Leitzins wurde von 8,5 auf 15 Prozent erhöht. Das ist zwar eine deutliche Steigerung. Internationale Finanzanalysten hatten jedoch mit mindestens 20 Prozent gerechnet.

Die Zinswende ist ein indirektes Schuldeingeständnis des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der jahrelang behauptet hatte, die Inflation in der Türkei würde durch niedrige Zinssätze bekämpft. Während weltweit die Zentralbanken ihre Zinsen erhöhten, wuchs die Inflation in der Türkei durch immer weitere Zinssenkungen zu einer der höchsten der Welt auf mehr als 100 Prozent. Seit der Wiederwahl Erdoğans am 28. Mai dieses Jahres zeichnete sich allerdings ein Wechsel in der Wirtschaftspolitik ab. Erdoğan holte den liberalen Banker Mehmet Şimşek zurück ins Kabinett und ernannte kurz darauf die Wall-Street-Bankerin Hafize Gaye Erkan zur neuen Zentralbank­chefin.

Beide Personalien deuteten an, dass mit Erdoğans „unorthodoxer“ Geldpolitik nun erst einmal Schluss ist. Obwohl die Zentralbank durch ständige Stützungskäufe zur Stabilisierung der Lira ihre letzten Dollar verpulverte, wird das Land schon seit Monaten nur noch durch immer neue Notkredite aus Katar vor der Staatspleite gerettet. Die Zentralbank hat am Donnerstag angekündigt, dass sie die Zinsen in den kommenden Monaten Schritt für Schritt erhöhen wird, bis die Inflation spürbar zurückgeht. Offiziell soll sie bereits unter 40 Prozent gefallen sein. Allerdings muss jede Türkin und jeder Türke bei Einkäufen im Supermarkt feststellen, dass vor allem Lebensmittelpreise nach wie vor anziehen. Kein Wunder: Importe werden immer teurer, weil die Lira nach wie vor dramatisch an Wert verliert. Allein seit der Wahl ist der Preis für einen Euro von 22 auf 26 Lira gestiegen.

Während Devlet Bahçeli, der Vorsitzende des rechtsradikalen Koalitionspartners, schon vor Tagen angekündigt hatte, dass die Regierung bei der Zinspolitik „schmerzhafte“ Entscheidungen vornehmen müsse, meinte Erdoğan: er sei nach wie vor ein „Zinsfeind“, füge sich aber erst einmal ins Unvermeidliche. Die Frage ist nun, wie lange er Şimşek und Erkan machen lässt. Im kommenden Monat werden die Renten und Beamtengehälter erhöht und auch der Mindestlohn soll steigen, was erneut zu einem Inflationsschub führen könnte. Unabhängige Experten gehen davon aus, dass die Inflation bei Lebensmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs nach wie vor bei mehr als 100 Prozent liegt. Um dagegen vorzugehen, müssten etliche Zinsschritte folgen.