: Bang, bang, bang!
WELTMUSIK 2.0 Londons Electrostar M.I.A. ist das Postergirl der Postworldmusic. Wer aber hat das Zeug zur deutschen M.I.A.? Ebow X aus München ist bereit: Ihr Album wird „wie HipHop auf einer türkischen Hochzeit“, verspricht sie
VON STEFAN MÜLLER
Hat man als Künstlerin den Olymp des globalen Pop erklommen, wenn man es auf ein Album mit Madonna und mit ihr in die Superbowl-Werbepause geschafft hat? Dann hat Mathangi Maya Arulpragasam ihn wohl erreicht. Als M.I.A. hat sich die Tochter von Flüchtlingen aus Sri Lanka aus Londons Clubs und Kunsthochschulen in knapp neun Jahren zum neuen It-Girl und Rolemodel der Postworldmusic vorgearbeitet.
Die kanadische Electro-Sängerin Peaches soll ihr einst gezeigt haben, wie man eine Roland Groovebox nutzt und damit Beats produzieren kann. Wie wichtig das visuelle Medium YouTube für sie einmal werden sollte, konnte Maya Arulpragasam während ihres Filmstudiums am Londoner Saint Martins College zwar nur erahnen. Aber zu dem Zeitpunkt, als ihr Debütalbums „Arular“ erschien, ging 2005 auch der Videoclipkanal im Internet an den Start. Von Anfang an waren dort ihre schrillbunten Clips zu sehen, die sich im Laufe der Zeit zu ambitionierten Kurzfilmen entwickelten. Gedreht hat die meisten davon Romain Costa-Gavras, der Sohn des prominenten Regisseurs.
Im aktuellen Clip zu „Bad Girls“ aus dem „Vicki Leekx-Mixtape“, das in Marokko entstand, posiert M.I.A. inmitten einer arabischen Männerclique und lässt italienische Lancias auf zwei Reifenpaaren hochkant durch die Wüste brausen. Der Übergang vom provokanten Politclip zum Partyvideo ist fließend und markiert eine Zäsur: hin zur Normalität, wenn man so will. „Immerzu provozieren ist mittlerweile langweilig geworden“, gab Maya jüngst in einem Interview zu Protokoll. Sie selbst würde am liebsten eine Bergtour am Himalaja machen, ihren dreijährigen Sohn Ikhyd im Tragerucksack. Das erste Video aus ihrem nächsten Album „Come Walk With Me“ zeigt einen jungen Oldschool-Breakdancer. Zwischendrin hat sie noch die Titelmelodie für Julian Assanges russische Talkshow komponiert und getwittert: „Julian hat sich meinen Computer ausgeliehen. ICH FLIPPE AUS!“.
Halten wir fest: Die 36-jährige M.I.A. ist das vielbeschworene Web 2.0. Aber wer könnte die deutsche M.I.A. werden?
Ein Frühsommertag an der Technischen Hochschule in München: Ebru Düzgün empfängt mich mich am Eingang, sie studiert Architektur und bastelt Beats. Ihr Künstlername lautet „Ebow X“, mit ihrem Produktionspartner Nick hat sie gerade ein Mixtape fertiggestellt. Es heißt: „Habibis Liebe und Kriege“ – eine auf 25 Minuten geballte Ladung mit deutschem Rap, angereichert mit Samples von türkischen Schlagern. Auch M.I.A. hatte einst mit einem Mashup-Mixtape Furore gemacht: „Piracy funds terrorism“, koproduziert mit Wesley Pentz alias Diplo.
„Meine Musik kommt schon der von M.I.A. am nächsten“, gesteht Ebow X. „Es geht mir aber nicht darum, sie zu kopieren!“, betont sie. Fasziniert ist sie vom Do-it-yourself-Aspekt ihres Vorbilds: „Für unser Mixtape-Video hatten wir auch kein fettes Budget, sondern haben alles im Freundeskreis organisiert“, so Ebow X. Ihr Motto: 13 Videos in vier Tagen drehen, an einem Tag die Beats programmieren, zwei weitere Tage die Lyrics schreiben – und dann ab ins Netz.
Auch wenn sie einen eigenen Ansatz verfolgt, so lässt sich Ebow X’s Track „Waffenhymne“ durchaus als Antwort auf M.I.A.s „Paper Plane“ mit seinen charakteristischen Pistolensalven lesen. „Schmeißt Granaten in die Luft – bang, bang, bang“, rappt Ebow X. Im dazugehörigen Video feiert eine Menge mit Seifenblasenkanonen und Konfettipistolen – eine Metapher dafür, dass manche Krieg wie ein Kinderspiel sehen. „Man könnte das für kriegverherrlichend halten“, sagt die 22-jährige Münchnerin. „Aber so ist es nicht gemeint.“ Um das deutlich zu machen, kommt Ebow X in diesem Stück auch auf deutsche Waffenexporte zu sprechen: „Hey, Merkel, gibt es schon den neuen Katalog? Wir haben Leopard-Panzer im Angebot!“ Wann hat man so eine explizite Kritik zuletzt von einem deutschen Rapper gehört? Und dann ausgerechnet aus München, der saturierten Bussi-Metropole?
Vielleicht ist es aber auch kein Zufall, dass Ebow X gerade vom Süden der Republik aus ihre Beats und Reime in den Rest der Welt schickt. Zuletzt hatten dort die DJ-Kollegen von Schlachthofbronx den Genrebegriff „Global Ghettotech“ ins Bajuwarische gedehnt und waren mit ihren bratzigen Balkan-, Ragga- und Volksmusiksamples auf den Festivals der Welt bejubelt worden; sie spielen inzwischen in der Champions League der Clubszene. Auf dem aktuellen Album „Dirty Dancing“ schwächeln die Jungs von Schlachthofbronx, Jakob und Bene, allerdings arg. Und inhaltlich hatten die lustigen Jungs aus dem Münchener Schlachthofviertel eh noch nie viel auf der Pfanne. Aber ihre Partys rocken – nicht zuletzt dank ihres konsequenten Einsatzes von Pyrotechnik und Megafonen.
Es würde wenig dagegen sprechen, Ebow X als Gastrapperin aufs nächste Album von Schlachthofbronx einzuladen: Sie kennt die Münchner Kollegen und wäre dabei. Jetzt aber will sie erst mal die Entwürfe von ihrem Mixtape auf Albumlänge ausarbeiten. „Das wird wie Hiphop auf einer türkischen Hochzeit!“, verspricht sie. Und wenn Madonna anruft? Über Zuspruch von M.I.A. würde sie sich mehr freuen.
■ M.I.A.: „Bad Girls“ (Universal). Das Album „Come Walk With Me“ wird im Sommer erwartet. Ebow X-Mixtape im Netz: http://soundcloud.com/ebowx/ebow-x-tape
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