Theater ist eine alte Therapieform

In Dortmunder nutzten Therapeuten wieder Jahrtausende altes Wissen um die heilende Wirkung des Theaters. In den USA und in Großbritannien sind sie schon vierzig Jahre weiter. In den Niederlanden gibt es Theatertherapie bereits auf Krankenschein

VON HOLGER ELFES

Heilen durch Theater spielen. Das Konzept zu dieser Drama- und Theatertherapie kam aus Deutschland. Doch der „Erfinder“ Jacob L. Moreno musste in der Nazizeit in die USA emigrieren, in Deutschland gerieten seine Ansätze schnell in Vergessenheit. Die Fachhochschule Dortmund nimmt sich jetzt des Heilverfahrens für psychische Erkrankungen wieder an.

“Damit stehen wir ziemlich alleine da“, sagt Lilli Neumann, die den Einsatz der Therapie unter die Lupe genommen hat. Lediglich am Hamburger Institut für Gestaltorientierte Weiterbildung (HIGW) sowie in Einrichtungen in Remscheid und Freiburg versucht man einen Neuanfang mit dieser Therapieform. In den USA und in Großbritannien sind die Therapeuten da schon vierzig Jahre weiter. In den Niederlanden gibt es Theatertherapie sogar auf Krankenschein. „Hier hat die Theaterpädagogik nach dem Krieg die Therapie verdrängt“, sagt die Kunst- und Theatertherapeutin. Bert Brecht und Walter Benjamin hätten die Schauspielerei zwar zu den Kindern und zum Proletariat gebracht, an psychisch Erkrankte hätten sie dabei nicht gedacht.

Dabei steht der therapeutische Wert kreativen Schaffens völlig außer Frage. Musiktherapie, Maltherapie oder Tanztherapie sind hierzulande anerkannte Therapieformen. Auch bei der Theatertherapie handelt es sich um einen kreativen Vorgang, bei dem neue Zugänge zum erkrankten Menschen gesucht werden. „Spielerische und körperorientierte Methoden sollen gerade im nichtsprachlichen Bereich die Grenzen des rationalen Verstehens überwinden“, sagt Lilli Neumann. Ziele sind emotionale Aufgeschlossenheit, Lösung von Widerständen sowie das Erschließen neuer Perspektiven. Schon Aristoteles beschäftigte sich mit der „reinigenden Wirkung“ des Theaters. In seiner Tragödientheorie soll eine Tragödie, indem sie „Jammer und Schaudern“ bewirkt, eine Katharsis, also Reinigung des Zuschauers von eben diesen Gefühlen auslösen. Jahrhunderte machte sich die Theaterwelt diese Effekte zu Eigen. Dann wurde aus dem Massenvergnügen eine ernste Kunstform und -Wissenschaft.

Die Theatertherapie bietet Menschen mit unterschiedlichen Problemen Hilfe. Sexuell misshandelte Mädchen können durch das Theaterspiel ebenso ihr Trauma aufarbeiten und überwinden, wie Arbeitslose oder Drogenabhängige. Praktische Erfahrungen mit dieser Therapieform sammelte Neumann bereits in den 80er Jahren: „Ich habe damals mit Stahlarbeitern, die gerade ihren Job verloren hatten, zusammen Stücke erarbeitet“, sagt sie. Ihren Frust so richtig rauszulassen, habe den scheinbar harten Männern geholfen. In den letzten beiden Jahren hat sie mit ihrem Team systematisch den Einsatz von Theater als Mittel therapeutischer Arbeit in Deutschland untersucht. Über 1.000 Fragebögen wurden an Psychiatrische Kliniken, Praxen, Schulen und Beratungsstellen verschickt. Das Interesse war enorm, obwohl häufig fehlende finanzielle Möglichkeiten für das Anbieten von Rollenspiel und Theater verantwortlich gemacht wurden. Auch mangelt es an ausgebildeten Fachkräften.

Hier will die FH Dortmund für Abhilfe sorgen. Eine berufsbegleitende Weiterbildung in Drama- und Theatertherapie bietet die Fachhochschule ab September in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Theatertherapie an. Die richtet sich an Ärzte, Therapeuten und Krankenschwestern, auch an Künstler und Schauspieler. Die Weiterbildung dauert drei Jahre und wird rund 5.000 Euro kosten.