„Stimmungsboykott gegen Sitzplätze!“

Mit dem „Confederations-Cup“ begann gestern auch die Generalprobe für Otto Schilys Sicherheitskonzept zur Weltmeisterschaft 2006. Strenge Regeln sollen Hooligans das Leben schwer machen, bringen aber auch immer mehr „echte Fans“ auf die Palme. Zwei Aktivisten über die Stimmung in der Szene

INTERVIEW CHRISTOPH TWICKEL

taz: Fans vom St. Pauli und vom HSV an einem Tisch und in gemeinsamer Sache – das wäre vor zehn Jahren nicht möglich gewesen.

Philipp: Nicht nötig! Wir machen das auch nicht, weil wir uns so gerne haben.

Sandra: Die einzelnen Fanszenen haben allein keine Chance mehr. Man muss zusammenarbeiten.

Ihr seid beide in der bundesweiten Fanvereinigung Pro Fans organisiert. Worum geht es Pro Fans?

Philipp: In den ersten Jahren haben wir unter dem Motto „Pro 15:30“ gegen fanfeindliche Spielzeiten und die Ausdehnung der Spieltage von Freitag bis Montag protestiert. Leider gibt es den Sonntag und den „DSF-Montag“ immer noch. Auch die Zusage, dass bei Sonntagsspielen die Entfernung zwischen den Spielorten höchstens 300 Kilometer betragen darf, hat der DFB nicht eingehalten.

Sandra: Unter dem Motto „Kein Kick ohne Fans“ haben wir dann unsere Forderungen ausgeweitet, als plötzlich weitere Sicherheitsauflagen kamen, die regeln sollte, was wir mit ins Stadion nehmen dürfen.

Philipp: Das fing an mit den so genannten Fahnenpässen, für die man seinen Namen angeben musste.

Sandra: Dann hieß es: „Tapeten sind verboten, dann können wir euch nicht mehr filmen“ – „Doppelhalter sind verboten, weil man dahinter zündeln könnte“ – „Blockfahnen gehen gar nicht“. Und so weiter. Früher konnten wir bei Auswärtsfahrten noch frei durch die Stadt laufen. Jetzt ist es ja zum Teil selbst in der dritten Liga noch so, dass dich die Polizei abholt und eingekesselt zum Stadion eskortiert.

Die Ultra-Szenen sorgen in allen deutschen Stadien maßgeblich für Atmosphäre. Wie seid ihr überhaupt ins Visier der Polizei gekommen?

Sandra: Als die Hooliganszene Mitte der Neunziger aus den Stadien gedrängt wurde und die sich nur noch an verabredeten Orten trafen, fehlte für die Polizei einfach der Gegenpol. Da blieben die Ultras – als große, erkennbare Gruppe, die sich nicht den Mund verbieten lässt und von Style her ähnlich gekleidet war – also hat man sie in ein Schema gepackt.

Der Soziologe und Fanforscher Gunter A. Pilz …

Philipp: Selbst ernannter Fanforscher!

hat kürzlich das Schlagwort „Hooltras“ in die Debatte geworfen. Nimmt bei Ultras die Gewaltbereitschaft zu?

Philipp: Sicher gibt es Gruppen, die gewaltbereiter geworden sind. Das ist aber klar der geringere Teil.

Sandra: Die Frage ist auch: Woher kommt das? Wenn du jahrelang rumgeschubst wirst, entsteht natürlich auch Hass. Die kesseln uns ja sogar ein, wenn wir ein freundschaftliches Verhältnis zu den Heimfans haben!

Bei vielen Leuten gilt der HSV immer noch als Hochburg der Hooligans …

Philipp: Seh ich nicht so. Der aktive Teil der Szene dürfte sich auf weniger als 50 Leute beschränken. Verglichen mit Anfang der Neunziger, als mit Verstärkung aus Hannover und Bielefeld über 300 Leute auf der Tribüne saßen, ist das lächerlich.

Sandra: Das Problem ist auch, dass meistens nur von Krawallen berichtet wird. Die Ausschreitungen in Italien und Slowenien haben eine Medienhysterie entstehen lassen, die die Leute glauben lässt, dass es sowie schon die Richtigen erwischt.

Philipp: Vielleicht trifft es sogar auch die Richtigen. Wir wollen nicht das Bild malen, dass immer nur die Polizei schuld ist. Aber dann wird eben pauschal reingeknüppelt.

Die Vereine sind gehalten, Fans, die der Polizei „sicherheitsgefährdend“ auffallen, Hausverbot zu erteilen – und zwar für alle deutschen Stadien. Zurzeit haben rund 2.370 Fans ein solches bundesweites Stadionverbot. Nur St. Pauli hat sich lange gegen eine solche Zusammenarbeit mit der Polizei gesperrt.

Sandra: Bisher haben wir Stadionverbote immer mit Verein und Fanprojekt diskutiert. Als nach dem Derby im Volksparkstadion letztes Jahr ein paar Sitzschalen gebrannt haben, hat die Polizei sechs Stadionverbote gefordert. Und der Verein hat sie ohne Rücksprache verhängt. Wir haben protestiert, mit Stimmungsboykott und Verlassen des Stadions nach 15 Minuten. Da nichts Konkretes vorlag, hat der Verein die Verbote wieder aufgehoben. Mittlerweile ist es aber so, dass die Polizei verstärkt Druck auf den Verein ausübt.

Welche Druckmittel?

Philipp: Wenn ein Spiel von der Polizei als Risikospiel eingestuft wird, gibt es nur alkoholfreies Bier. Das bedeutet: Der Getränkeumsatz geht runter, und das tut den Vereinen weh.

Sandra: Dieses Druckmittel nutzen sie sehr stark bei St. Pauli. Etwa vor zweieinhalb Jahren, als nach den Spielen gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule demonstriert wurde.

Philipp: Da ist der HSV nicht so erpressbar. Aber sich gegen die Lizenzauflagen des DFB aufzulehnen, bedeutet ein finanzielles Risiko und, theoretisch, auch das Risiko eines Punktabzugs.

In Frankfurt habt ihr gestern gegen das Verschwinden der Stehplätze in den Stadien demonstriert …

Sandra: Die Fanvereinigung „BAFF“ hatte schon vor 7 Jahren bei einem Länderspiel Flyer verteilt mit dem Slogan „Vier Wochen WM – ein Leben lang sitzen“. Und genau so ist es gekommen: Alle Vereine haben neue Stadien gebaut und Stehplätze reduziert. Gerade für Gäste gibt es nur noch einen kleinen Eckblock.

Beim HSV wird überlegt, die Sitzplätze wieder in Stehplätze zu verwandeln.

Philipp: Das Motiv dahinter ist, dass man eben neue Fans rekrutieren muss. Junge Leute mit wenig Geld, die einfach mal zum Fußball wollen, können sich das zurzeit nicht leisten. Die wenigen Stehplätze sind durch Dauerkarten belegt. Wenn man nur teure Sitzplätze verkauft, rationalisiert man den Fan-Nachwuchs weg. Wenn überhaupt, dann kommt das nach der WM.

Habt ihr euch im Internet für WM-Karten beworben?

Philipp: Ich wollte meine persönlichen Daten nicht preisgeben. Und wenn ich an der Verlosung teilnehme, bejahe ich die überteuerten Preise. Ich weiß, dass sie trotzdem steigen, aber ich möchte in den Spiegel gucken können.

Warum werden organisierte Fans bei der WM so an den Rand gedrängt?

Philipp: Die WM ist das Medien-Event überhaupt. Wo also könnte man besser Kritik in die Öffentlichkeit tragen? Die Lotterie dünnt das Feld der aktiven Fans, die Kritik in die Stadien tragen könnten, schon mal aus.

Sandra: Die Vereine, der DFB und die DFL haben ja längst entdeckt, dass es besser ist, zahlungskräftige Menschen im Stadion zu haben, reiche Familien mit Kindern, die viel Geld ausgeben. Und VIP-Logen.

Bei St. Pauli gibt’s doch keine VIP-Logen, oder?

Sandra: Hätten sie Platz dafür, gäbe es die auch auf St. Pauli. Die Vereinsführung trotzt keinem Kommerzzwang. Die vermarkten halt das Flair der Fans und dass wir gerade nicht erfolgreich sind. Der „andere“ Club.

St. Pauli-Fans sind eher politisiert und links, HSV-Fans eher unpolitisch bis rechts – gilt die Faustregel noch?

Philipp: Das ist meiner Ansicht nach lange passé. Es gibt bei St. Pauli Leute, die gar keinen politischen Standpunkt haben, genau so wie es beim HSV Ultralinke gibt, die in der Antifa organisiert sind.

Sandra: Die St.-Pauli-Fans leben zwar noch von ihrem Ruf. Aber es ist wesentlich unpolitischer geworden. Das Gros der Leute geht Freitags mal nett zum Fußball, um danach zum Kiez weiterzuziehen. Das sind bestimmt keine Nazis, aber mit linken Idealen setzen die sich auch nicht auseinander. Im Grunde hat sich die Szene bundesweit gewandelt, natürlich wird sie in St. Pauli immer antifaschistisch bleiben, und wenn so ein Sack wie Schill an der Macht ist, wird das auch im Stadion thematisiert werden. Und auch wenn sich die Fanszene beim HSV gewandelt hat, werden wir immer Rivalen bleiben. Wir werden uns nicht gegenseitig toll finden, bloß weil wir zusammenarbeiten.

Christoph Twickel, Jahrgang 1966, arbeitet zurzeit mit Fans des HSV an dem Theaterstück „Hinter euren Zäunen“, das am 1. September am Thalia in der Gaußstraße in Hamburg Premiere hat.