Folterer und Mörder nicht länger geschützt

Argentiniens Oberster Gerichtshof hebt endgültig die Amnestiegesetze auf, die Diktaturverbrechen ungesühnt ließen

BERLIN taz ■ Der Oberste Gerichtshof Argentiniens hat am Dienstag die Straffreiheit für während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 begangene Verbrechen endgültig abgeschafft. Mit sieben gegen eine Stimme bei einer Enthaltung entschieden die Richter, dass das so genannte Schlusspunktgesetz und das Gesetz über „Befehlsnotstand“ aus den Jahren 1986 und 1987 verfassungswidrig sind und daher keinerlei Bestand haben. Im Gegenteil sei es die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, den schweren Verbrechen wie Folter, Mord und Verschwindenlassen während der Diktatur nachzugehen, beschieden die Richter.

Damit bestätigte der Gerichtshof nicht nur Urteile unterer Instanzen, sondern auch eine Parlamentsentscheidung aus dem August 2003. Damals, kurz nach dem Amtsantritt des Präsidenten Néstor Kirchner, hatte das Parlament die Amnestiegesetze für null und nichtig erklärt.

Die Amnestiegesetze, verabschiedet unter der Regierung des bürgerlichen Präsidenten Raúl Alfonsín, hatten all jene Militärs und Polizeikräfte, die an der Folter und Ermordung von tausenden Oppositionellen während der Diktatur beteiligt waren, von der Strafandrohung befreit. Lediglich ein knappes Dutzend der Obersten Offiziere aus den Militärjuntas waren seinerzeit verurteilt worden – sie wurden allerdings bereits 1990 von Alfonsíns Nachfolger Carlos Ménem begnadigt. Von der Amnestie ausgenommen waren lediglich Fälle der Verschleppung und illegalen Adoption von Kindern, deren Eltern in Haft waren oder getötet wurden. So hatte die Justiz in den letzten Jahren in mehreren Fällen zwar wegen Kindesraubes ermitteln können, die Ermordung der Eltern jener Kinder jedoch ungesühnt lassen müssen.

Nach der Parlamentsentschließung von 2003 waren Ermittlungen gegen rund 150 Militärs aufgenommen worden – doch die Verfahren stockten, weil die Verteidiger sich stets auf die Amnestiegesetze beriefen und die Rechtmäßigkeit des Parlamentsbeschlusses anzweifelten. Die Entscheidung des Obersten Gerichts bringt jetzt Klarheit – nun schützt die beteiligten Militärs, deren Zahl auf bis zu 3.000 geschätzt wird, nichts mehr.

„Die Straflosigkeit in Argentinien ist vorbei“, erklärte Präsident Kirchner am Dienstag feierlich. Menschenrechtsgruppen und Opferorganisationen bejubelten das Urteil in Buenos Aires. Nora Cortiñas, eine der Mitbegründerinnen der Mütter der Plaza de Mayo, erklärte vor Journalisten: „Die Verbrechen, die begangen wurden, sind ein Angriff auf die Menschheit. Jene, die Menschen in den Fluss warfen, jene, die schwangere Frauen folterten, jene, die die Kinder im Bauch der Mutter folterten, indem sie ihr ein Messer in die Vagina steckten und Elektroschocks anwandten … Diese Völkermörder bleiben nun nicht länger verschont, nur weil sie einen niederen Grad bekleideten.“

Aus den Reihen der Militärs, die in den 80er-Jahren mit offenen Drohungen gegen die Demokratie die Verabschiedung der Amnestiegesetze forciert hatten, sei lediglich „eine gewisse Unzufriedenheit“ zu hören, erklärte Verteidigungsminister José Pampuro nach dem Entscheid. BERND PICKERT