Zwischen Wüste und See

Hippen empfiehlt: „Warten auf das Glück“ von Abderrahmane Sissako ist eine poetische Meditation über das Verschwinden der Heimat

VON Wilfried Hippen

Schon der Titel deutet an, dass dieser Film in einem Zwischenreich spielt. Das mauretanische Örtchen Nouadhibou liegt zwischen der Sahara und dem Atlantik und selbst die Alteingesessenen scheinen auf der Durchreise dort gestrandet zu sein. Diese alles durchdringende Entfremdung lähmt die Menschen, und so ist das Verlegen eines Stromkabels ein dramatischer Höhepunkt des Tages. Aber dem Elektriker gelingt es nicht, eine einzige armselige Glühbirne zumk Leuchten zu bringen, denn sein Leben lang war er Fischer. Doch es lohnt sich nicht mehr auszufahren, denn im Ozean schwimmen nur noch ertrunkene Flüchtlinge.

Wenn man in einem Film, in dem nichts passiert, überhaupt von einem Protagonisten sprechen kann, dann ist dies der 17-jährige Abdallah, der, bevor er versucht, nach Europa zu fahren, noch einmal seine Mutter besucht. Er spricht den örtlichen Dialekt nicht und ist mit seiner ärmlichen westlichen Kleidung ein Außenseiter, der die Tage damit verbringt, stundenlang am Fenster auf die Beine der Vorbeigehenden zu schauen. Nicht etwa voyeuristisch, wie man es etwa aus Filmen von Truffaut kennt, sondern schläfrig, gelangweilt, als wäre es ein ewig laufender Fernseher. Sein einziger Gesprächspartner ist der kleine Lehrling des unfähigen Elektrikers, und der lehrt nun wiederum ihn ein paar falsche Vokabeln, sodass er bei seinem ersten Gespräch mit ein paar freundlichen Prostituierten für „Nase“ „Mund“ sagt und umgekehrt. Es ist eine der großen Herausforderungen der erzählenden Künste, Langweile so darzustellen, das man selber dabei nicht langweilig wird. Und genau dies gelingt Sissako hier so subtil und verführerisch, dass es schwer zu erklären ist, warum dieses Stimmungsbild eines Ortes, in dem die Zeit still steht, so fasziniert.

Ein Grund dafür ist sicher die Montage, deren langsamer Rhythmus nie behäbig wirkt und die viele verschiedene Orte und Figuren zusammenführt, die dramaturgisch kaum miteinander in Verbindung stehen, aber eben das Leben in diesem einen Ort miteinander teilen. So entstehen zugleich reizvolle und pointierte Kontrapunkte wie der zwischen einer alten Musikerin, die einem jungen Mädchen traditionelle Gesänge beibringt und einem chinesischen Straßenverkäufer, der Nachts in einer Karaoke-Bar Liebesschnulzen aus seiner Heimat schmettert. Solche Szenen inszeniert Sissako mit einem trockenen Witz, und immer spürt man die Sympathie, mit der er von seinen Figuren erzählt. Er selber sagt, er wolle „die Würde von Menschen feiern, die sehr wenig besitzen“ – und als Afrikaner gelingt ihm dies ohne den gönnerhaften, letztlich immer noch kolonialen Blick, den westliche Filmemacher so gut wie nie vermeiden können, wenn sie in Afrika drehen.

Es ist schwer, Langweile darzustellen ohne langweilig zu werden. Das gelingt Sissako subtil und verführerisch

Dabei ist der aus Mauretanien stammende Abderrahmane aber auch kein lupenreiner afrikanischer Filmemacher. Er studierte 12 Jahre Film in Moskau und lebt nun in Paris. „Heremakono“ (so der Originaltitel) ist auch nicht für ein afrikanisches Publikum konzipiert, das ein bodenständiges Kino wünscht, wie etwa der florierende Markt von lokal auf DVD produzierten Melodramen und Krimis in Nigeria beweist. Sissakos von Arte mitfinanzierter Film ist Kunstkino für westliche Cineasten und erhielt entsprechend in Cannes den Preis der internationalen Filmkritik.

Eines der vielen poetisch eingesetzten Symbole, ja im Grunde schon ein Leitmotiv des Films ist übrigens die Glühbirne. Und wenn man sieht, wie fruchtbar sie hier von Sissako dafür genutzt wird, für Hoffnung, Zerbrechlichkeit, Modernität, Transparenz oder Harmonie zu stehen, kann man den Film auch als Abgesang auf sie verstehen.