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Verschmelzen oder rangeln

Die kalifornische Künstlerin Christina Quarles zerlegt im Hamburger Bahnhof menschliche Körper in stoffliche Erscheinungsformen. Werden auf ihren Malereien Konflikte ausgetragen oder Zusammengehörigkeiten gesucht?

Irgendwie viel Körper: Christina Quarles, „Vulgar Moon“, 2016   Foto: Christina Quarles. Courtesy the artist, Hauser & Wirth, and Pilar Corrias, London

Von Tom Mustroph

Oh ja, diese Ausstellung ist überwältigend. Das liegt zunächst an den sehr großformatigen Leinwänden, die Christina Quarles mit teilweise lebensgroßen menschlichen Akten bedeckt. Eine Leinwand zieht sich gar über mehrere Wände hin. Be­su­che­r*in­nen können durch sie hindurchgehen und so ins Quarles’sche Universum eintauchen. Dieses besteht aus spektakulären Frauengestalten. Sie werden nie komplett dargestellt. Mal konzentriert sich Quarles eher auf das Muskelgewebe oder auf den Knochenbau.

In „We Can Require No Less of Ourselves“ wachsen zwei solcher Frauenfiguren auseinander heraus. Bei einer fällt vor allem das rote Fleisch auf, die Muskeln und Sehnen, die an den Gliedmaßen freigelegt sind. Bei der anderen sind es die knöchernen Formen des Brustkorbs, die Struktur verleihen. Quarles geht dabei nicht naturalistisch vor. Die Formen sind abstrahiert, fast schon industrialisiert. Das lässt sie so artifiziell aussehen. Teile eines dritten Körpers tauchen ebenfalls auf. Hier ist die Haut noch über das Fleisch gespannt; der Anblick gehorcht stärker den Konventionen.

Bei „Slick“, einer anderen mächtigen Leinwand, sind manche Körper nur in Konturen erkennbar. Die Farbe, mit der sie gemalt sind, tropft aus ihnen heraus, als befänden sich diese Leiber in einem Auflösungsprozess.

Man kann sich den Arbeiten von Christina Quarles biografisch nähern. Das macht einerseits Sinn. Identität war für sie als Tochter eines Vaters of Colour und einer weißen Mutter, die selber ihrer Erscheinung nach in den USA oft als „weiß“ gelesen wurde, bereits vor Beginn der künstlerischen Karriere ein Thema, wird aus den Begleittexten deutlich. Und natürlich ist aus dieser Perspektive das Ringen darum nachvollziehbar, wer oder was dieses Fleisch ist, das auf den eigenen Knochen so liegt.

Andererseits sind ihre Malereien aber auch so stark, dass man dem modischen und so kleinkarierten biografical turn in den Abhandlungen über die Künste nicht so recht folgen mag. Nur zur Erinnerung: Es gab mal Zeiten, in denen das Erklären von Kunst auf Basis des Räsonieren über biografische Details der Ur­he­be­r*in­nen als völlig geistlos und schulmeisterlich verabscheut wurde. Die beiden Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath, zugleich die neuen Direktoren des Hamburger Bahnhofs, sollten sich selbst solche Zeiten noch vergegenwärtigen können.

Muskeln und Sehnen sind an den Gliedmaßen freigelegt

Besser ist es, man löst seine Augen von ihren Begleittexten, diesem „Geländer der Verzagten“, wie solche Texte einmal von Carl Einstein, diesem faszinierenden Wegbereiter der Moderne genannt wurden. Und man wirft sie auf die Leinwände selbst. Da fasziniert zunächst Quarles' Vielfalt in den Techniken. Mal benutzt sie hochverdünnte Farbe, schafft glänzende Oberflächen. Dann wieder wird die Farbe dicker aufgetragen, mit rohen Borsten verteilt, zuweilen auch wieder abgekratzt. Sehr unterschiedliche Oberflächen und Texturen entstehen so, die zu sehr unterschiedlichen Körperbildern führen.

Sehr ambivalent ist auch das Verhältnis dieser Körper zueinander. Mal scheinen sie aus dem selben Leib zu erwachsen, muten beinahe an wie Präparate unterschiedlicher Schichten des Körpers, ganz so als hätte sich die Künstlerin von den kontrovers diskutierten Leichenpräparaten des Gunther von Hagens inspirieren lassen. In anderen Konstellationen haben die dargestellten Körper voneinander abweichende Umrisse. Hier scheint einander Fremdes sich zu nähern, ja miteinander zu verschmelzen.

Man mag dem kleinkarierten biografical turn nicht so recht folgen

Ungewiss ist auch der Charakter der Annäherungen. Ist er freundlich oder feindlich gesinnt? Werden hier Konflikte ausgetragen oder Zusammengehörigkeiten gesucht? Das sind große, ja universelle Themen. Denn Individuen suchen einerseits Anschluss. Sie sind andererseits, trotz ihrer Unteilbarkeit, die ja schon im Begriff Individuum steckt, eben doch zusammengesetzte Gestalten. Mit Anteilen ihrer Eltern, die vielleicht miteinander in Konflikt stehen, mit Spuren kultureller Prägungen und Erfahrungen, die nur sie gemacht haben, und die – selbst wenn andere sie auch machten – auf sie eben je nach eigenen Vorerfahrungen möglicherweise ganz anders wirkten.

„Collapsed Time“ nennt die in Chicago geborene und in Los Angeles lebende Künstlerin ihre Ausstellung. Und tatsächlich betritt man mit der Ausstellung einen Raum, in dem die Zeit, selbst wenn sie vielleicht nicht kollabiert ist, so doch nach anderen Gesetzen zu wirken scheint. Das immer Vorwärtsdrängende ist aufgehoben zugunsten von Kreis- und Spiralbewegungen, die tief einschneiden in das, was wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nennen.

Christina Quarles: „Collapsed Time“. Hamburger Bahnhof. Bis 17. September

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