Künstliche Intelligenz: Denken oder Denken lassen?
Wenn künstliche Intelligenz sich um den Ämterquatsch kümmert, könnte man mal wieder Zeit haben, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
S ind Sie sicher, dass ich Ihnen diese Woche hier schreibe – und nicht eine künstliche Intelligenz? Und was wäre Ihnen lieber? Letztlich versuchen wir beide, ich und ChatGPT, ja dasselbe: die Schwarmintelligenz zusammenzubündeln zu, in diesem Fall, ein, zwei, drei Themen zu einer befriedigenden Antwort auf die Frage: Was war los diese Woche? Wer hat was gesagt, gedacht, verpatzt? Gut, meistens versuche ich, das Zusammengesammelte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Oder was mein Bewusstsein eben so für zusammenhängend hält. Und weil ich nicht anders kann, weil ich emotional werde, wenn mir etwas ethisch elend erscheint, kriegen Sie meine Meinung gratis obendrauf.
Was ich mich aber jetzt frage: Hat das irgendeinen Mehrwert für Sie? Sie haben eh Ihren eigenen ethischen inneren Kompass, wozu brauchen Sie meine Einschätzung? Und könnte eine gute KI die nicht auch simulieren? Welchen Unterschied würde das für Sie machen?
Für mich natürlich einen großen – ich wäre meinen Job los, den ich wirklich sehr gerne mag. Andererseits hätte ich plötzlich sehr viel von dem, was mir am meisten fehlt: Zeit. Etwa, um mit meiner Tochter Schlittenfahren zu gehen. An fast allen der etwa drei Schneetage diesen Winter musste ich arbeiten. Vielleicht, habe ich gedacht, sind das quasi die letzten Schneetage vor der endgültigen, unumkehrbaren Erderhitzung. Hätte ich die nicht besser nutzen müssen?
Es ist also, da bin ich mir sicher, kein Zufall, dass ich bei allem, was ich hektischer denn je abseits meiner Lohnarbeit erledige, derzeit den Unendlichen Podcast der Zeit höre. „Alles gesagt?“ heißt dieser eigentlich, aber es wird unendlich lange geredet, theoretisch. Meistens so sechs, sieben Stunden. Mit einer Person. Fantastisch. Ich höre ihn beim Kochen, Duschen, Zähneputzen, Einkaufen – wahrscheinlich weil mein Unterbewusstsein auf einen Mitnahme-Effekt hofft. Wenn ich schon nicht den allerkleinsten Gedanken zu Ende denken kann – weil Kind, Kollegen oder Kopfschmerzen etwas von mir wollen – will ich wenigstens anderen beim Zu-Ende-Denken zuhören.
Die eigene Manipulierbarkeit
Aber ist denken lassen so gut wie selber denken? Was mich beim Denkenlassen – ob von mehr oder weniger schlauen Leuten oder einer KI – ein bisschen gruselt, ist meine eigene Manipulierbarkeit. Dass KIs überzeugend sein können, habe ich bisher nur gehört, bei Menschen aber oft genug erfahren: Je länger ich jemandem zuhöre, der nicht gerade predigt, lügt oder versucht, mich von etwas zu überzeugen (und der selbstverständlich kein Nazi, Coronaleugner oder Menschenfeind ist), desto sympathischer wird mensch mir. Wahrscheinlich könnte ich nach 8 Stunden Christian Lindner im Ohr auch beinahe nachvollziehen, warum mehr Geld für arme Kinder (dass es die gibt, und wie elend und beschämend und herzzerreißend das ist, weiß jeder, der schon mal mit offenen Augen durch beispielsweise Neukölln gelaufen ist) wenig Sinn macht. Aber nur beinahe.
Aber dabei fällt mir ein, wer wirklich von ChatGPT und Co profitieren könnte: all die alleinerziehenden, Bürgergeld beziehenden oder ausgebeuteten Eltern, die für jede Pups-„Vergünstigung“ nervenaufreibende Kommunikation mit den Ämtern führen müssen. Die Berechnung, wer jetzt die acht Euro Differenz zwischen den „Leistungen für Bildung und Teilhabe“ und dem Sportvereinsbeitrag zahlt und wie das am schnellsten abgewickelt werden kann – das sollen bitte ab sofort Algorithmen übernehmen. Die Eltern brauchen die wenige Zeit, die ihnen beim ganzen Hustle bleibt, wirklich für was Besseres: ihre Kinder.
Überhaupt ist ja die Frage, ob die Auslagerung einer großen Menge Arbeit an künstliche Intelligenzen nicht auch Vorteile hätte (über die Nachteile und Gefahren reden wir beim nächsten Mal, einverstanden?). Wenn Maschinen einen Teil des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften, sind zwar die richtig harten Jobs noch immer da. Aber eine ganze Menge menschliches Bewusstsein würde doch plötzlich von den Bildschirmen aufblicken – und vielleicht mal wieder zwei zusammenhängende Gedanken fassen können.
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