Projektmitarbeiter über Alterseinsamkeit: „Seit 10 Jahren niemanden gesehen“

Einsamkeit ist vor allem für Se­nio­r*in­nen ein großes Problem. Arne Klettke bringt alte Menschen mit Ehrenamtlichen zusammen.

Ein alter und ein junger Mensch halten sich an den Händen.

Von dem Tandem-Projekt KlingelZeit profitieren Alt und Jung Foto: Daniel Karmann/dpa

taz: Was machen Ehrenamtliche und Se­nio­r:in­nen zusammen, wenn sie sich treffen?

Arne Klettke: Wir haben ein Tandem in Südneukölln, da ist der Senior über 90 und die Freiwillige auch schon um die 60 und die machen zusammen immer Radtouren, vor allem im Sommer. Da haben beide was davon, der Senior kennt tolle Routen in Südneukölln und Brandenburg. Wir haben auch Tandems, die Karten spielen, spazieren gehen oder Kaffee trinken. Manche quatschen auch einfach nur miteinander am Telefon.

Wie wählen Sie aus, wer zusammenpasst?

Bevor wir vermitteln, lernen wir alle in einem Gespräch kennen. Wir fragen sie, was ihre Hobbys, Interessen, Erwartungen und Wünsche sind. Dann schauen meine Kollegin und ich, wie wir am besten Leute zusammenbringen können, die zueinander passen.

Haben Sie ein Beispiel?

ist einer der zwei hauptamtlich Mitarbeitenden des Berliner Projekts „Klingelzeit“. Er ist für Nordneukölln zuständig, während seine Kollegin Sarah Hannusch Südneukölln betreut.

Wenn es Leute sind, die eher in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und Lust haben, zu stricken oder Spiele zu spielen; Oder wenn jemand Lust hat, spazieren zu gehen, und wir haben eine fitte Seniorin, oder einen fitten Senior: dann vermitteln wir die.

Kommt es auch mal vor, dass Sie kei­ne:n Tand­em­part­ne­r:in finden?

Wir haben in Südneukölln Senioren, die abgelegener wohnen und die wir darum nicht vermitteln konnten. Da suchen wir gerade Freiwillige. In Nordneukölln ist es andersrum. Da haben sich schon viele Freiwillige gemeldet und wir warten auf die Senioren.

Und wie lange bleiben die Tandems bestehen?

Klingelzeit ist ein kostenloses Besuchs- und Begleitprojekt, in dem Ehrenamtliche mit Se­nio­r:in­nen aus Neukölln Zeit verbringen. Das Projekt gibt es seit 2021, das Bezirksamt Neukölln und der AWO-Berlin-Kreisverband Südost e. V. fördern es, das „Neuköllner EngagementZentrum“ führt es durch. Bisher lief es in Buckow, Rudow, Britz und Gropiusstadt, seit kurzem auch in Nordneukölln. Die Tandems entscheiden selbst, wie oft sie sich treffen und was sie zusammen machen. Die Projektverantwortlichen bleiben mit den Tandems in Kontakt und helfen bei Problemen und Fragen. KlingelZeit veranstaltet auch Sommerfeste für Se­nio­r:in­nen und Workshops für Freiwillige. Das Projekt richtet sich an Se­nio­r:in­nen bis maximal Pflegegrad 1. Es gibt in Neukölln ähnliche Projekte wie Diakonie Haltestellen und die Großstadtgefährten, die aber alle einen Pflegegrad voraussetzen. Vor allem in Nordneukölln werde Freiwillige und Se­nio­r:in­nen gesucht, die gerne mitmachen möchten. Interessierte können sich bei Arne Klettke unter 0176 588 582 91 melden. Für Südneukölln (Buckow, Rudow, Britz, Gropiusstadt) ist Sarah Hannusch unter 0176 732 200 15 zuständig.

Manche existieren seit Gründung des Projekts, also seit 2021. Manche lösen sich irgendwann auf, weil die Freiwilligen wegziehen, weil sie in einen Beruf starten und dann nicht mehr so viel Zeit haben. Wenn weiter Interesse besteht, versuchen wir neu zu vermitteln, damit die Leute im Projekt bleiben können.

Sie bieten Freiwilligen Workshops an, etwa zum Thema „Abgrenzung“. Warum machen Sie das?

Wir haben Senioren im Projekt, die sich sehr einsam fühlen und immer nur auf dieses eine Treffen in der Woche warten. In den Workshops geht es dann darum, wie Freiwillige ihr Ehrenamt bestreiten können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn man sich einmal die Woche trifft und seine Freizeit dieser Person schenkt, macht man schon sehr viel. Und wenn man mal nicht kann, ist das auch okay, es soll für beide Seiten Spaß machen.

Kommt es manchmal vor, dass Se­nio­r:in­nen mehr Hilfe benötigen, als die Freiwilligen leisten können?

Wenn man das Gefühl hat, die Person fühlt sich nach wie vor einsam und wartet immer nur darauf, dass man sich wieder trifft: dann nehmen wir uns der Sache an und fragen bei den Se­nio­r:in­nen nach: Können wir unterstützen, brauchen Sie in anderen Lebensbereichen Hilfe. Im extremsten Fall raten wir zu einer Psychotherapie, im leichteren zu einer Unterstützung im Alltag durch die Pflegekassen.

Wie ist die Familiensituation der Senior:innen?

Das sind vor allem Leute, die allein sind, wo vielleicht der Mann oder die Frau verstorben sind und dadurch Einsamkeit entstanden ist. Bei uns melden sich Leute, die seit fünf oder zehn Jahren niemanden mehr gesehen haben. Manche sind aber auch noch in ihren Familien eingebunden, das ist total divers.

Wie alt sind Ehrenamtliche im Durchschnitt?

Wir haben nicht nur Tandems, die aus Jung und Alt bestehen. Wir haben auch viele Senioren, die sich engagieren und mit älteren Leuten treffen. Ich glaube aber, gerade für junge Menschen ist das ein tolles Ehrenamt, weil man superviel für sein eigenes Leben daraus ziehen kann. Es ist spannend, die Historien von älteren Menschen zu erfragen und was die alles schon so in Neukölln erlebt haben. Die Zeiten sind auch sehr flexibel, weil man sich immer persönlich abstimmt, wann man sich trifft.

Also für alle eine schöne Sache?

Für die Freiwilligen ist es toll, Zeit zu spenden und was aus dem Leben von älteren Menschen zu erfahren, sie spüren die Dankbarkeit nach jedem Treffen. Für die Senioren ist es gut, dass jemand mit ihnen Zeit verbringt und sie wissen: Da ist jemand. Ich kann was aus meinem Leben berichten und da interessiert sich jemand für.

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