Zurück in der Gegenwart

Erst geht der Klima-Volksentscheid in Berlin verloren, dann weicht die Bundesregierung ihre Klimapolitik auf. Was folgt aus dieser Woche für den Kampf gegen die Erderhitzung?

Von Kersten Augustin

Vergangene Woche hat sich, man kann da ruhig grundsätzlich werden, etwas verändert. Nicht die Klimakrise, die bleibt so bedrohlich, wie sie ist. Aber der Umgang mit ihr. Und das könnte mittelfristig sogar eine gute Nachricht sein. Die Klimapolitik ist aus dem Jahr 2030 ziemlich unsanft in die Gegenwart zurückgekommen, und die ist fossil-schmutzig und ziemlich widersprüchlich.

Was ist passiert? Und was folgt daraus für die Klimapolitik?

Es fehlt Unterstützung von unten

Es fing am vergangenen Sonntag an mit dem Volksentscheid Klimaneu­tral 2030 in Berlin. Und vielleicht ahnten seine prominentesten Be­für­wor­te­r*in­nen schon etwas, als sie am Vortag auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor standen: „Realistisch ist, was wir realistisch machen!“, rief Luisa Neubauer ins Publikum. Allein: Beim realistischen Blick von der Bühne schaute sie nicht auf 35.000 MitstreiterInnen, die angekündigt worden waren. Sondern auf rund 1.500 Menschen.

Am Sonntag dann das ernüchternde Ergebnis: Der Volksentscheid hat das Quorum nicht geschafft. Deutlich weniger als die benötigten 25 Prozent stimmten dafür, dass Berlin sich per Gesetz verpflichten solle, bis 2030 klimaneutral zu werden. Überraschender als die geringe Wahlbeteiligung war, wie viele Menschen ihr Haus verließen und gegen den Volksentscheid stimmten. Am Ende wurden fast so viele Nein-Stimmen wie Ja-Stimmen gezählt.

Grund genug, dass man sich für einen Moment auch außerhalb des Sendegebiets des RBB für diesen Volksentscheid interessieren darf.

Zwei Dinge hat der Volksentscheid gezeigt: Zunächst die Schwäche der Klimabewegung. Die Aufregung über die Letzte Generation hat manche in den vergangenen Monaten darüber hinweggetäuscht, aber dem Volksentscheid fehlte eine aktivistische Basis.

Es gab, und das ist ein Widerspruch, zwar noch nie so viele Klimabewegte wie heute. Gleichzeitig findet das Bewegtsein momentan keinen Ausdruck. Fridays for Future ist tot, und die Letzte Generation ist eine avantgardistische Performancetruppe für 150-Prozentige. Die Bewegung braucht ein neues Ziel, das radikal genug und gleichzeitig erreichbar ist. Der Volksentscheid war es offensichtlich nicht.

Wer, zum Vergleich, 2021 in den Wochen vor dem Volksentscheid zur Enteignung von Wohnungsunternehmen durch Berlin lief, konnte sich kaum retten vor AktivistInnen in lila Warnwesten, die für ihr Ziel warben.

Es wäre aber unfair, das Scheitern allein der Schwäche der Bewegung anzulasten. Denn der Volksentscheid hat auch handwerkliche Fehler, aus denen sich etwas darüber lernen lässt, wie Klimapolitik nicht funktioniert.

Radikale Ziele reichen nicht

Nehmen wir zum Beispiel Berlin-Britz, ein Stadtteil mit 43.000 Einwohnern außerhalb des S-Bahn-Rings. In manchen Wahllokalen stimmten hier über 70 Prozent gegen den Volksentscheid. Es gibt hier: Mehrfamilienblocks mit Satellitenschüsseln am Balkon, Kleingartensiedlungen mit Gartenzwergen, rosa gestrichene Einfamilienhäuser mit mittelgroßen Autos in der Einfahrt. Hier wohnen Fahrlehrerinnen neben Systemadministratoren und taz-Redakteuren. Und es gibt Verkehr, viel Verkehr. Wenn man durch die Straßen spaziert und in die Vorgärten schaut, sieht man vor ein paar Häusern einen hässlichen, kleinen Kasten im Garten stehen, eine Wärmepumpe. Die sind aber selten, ungefähr so selten wie große SUVs.

Es ist also alles in allem ziemlich durchschnittlich hier, könnte man meinen. Oder man sieht es wie die bildungspolitische Sprecherin der Grünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Die schrieb bei Twitter, dass in der Innenstadt mehr Menschen dem Volksentscheid zugestimmt hätten als dort, „wo es Platz für den SUV in der eigenen Garage gibt“.

Daran schließen sich nun allerhand Fragen an, zum Beispiel, wann die Grünenpolitikerin das letzte Mal ihr Kreuzberger Dorf verlassen hat, und ob sie immer noch glaubt, dass Klimaschutz am wirkungsvollsten sei, wenn man Bürger moralisch tadelt oder anschreit.

Es ist einigermaßen absurd, davon auszugehen, dass alle Menschen, die gegen den Volksentscheid stimmten, und jene, die gar nicht erst hingingen, gegen Klimaschutz wären. Man könnte auch unterstellen, dass diese sich mit dem Vorschlag auseinandergesetzt und entschieden haben: So geht das nicht. Weil selbst Linken-Politiker vor der Abstimmung die mangelnde Finanzierbarkeit kritisierten. Oder weil Menschen Angst haben, bald ihr Auto zu verlieren, aber in ihrem Stadtteil der Bus am Sonntag nur alle 30 Minuten fährt, wenn er nicht ganz ausfällt. Oder dass der Umbau ihrer Heizung sie ruiniert.

Für jemanden, der heute ein neues Auto oder eine Heizung braucht, ist das Jahr 2030 nicht die Zukunft, sondern Gegenwart. Das Ding soll schließlich eine Weile halten.

Reicht das Wasser noch für die Blumen oder nur noch für die Menschen? Die Klimakrise kommt bis in den Vorgarten Foto: Andreas Herzau/laif

Wenn der Volksentscheid zu der Erkenntnis führt, dass es nicht reicht, radikale Ziele für die Zukunft zu setzen, solange die Umsetzung in der Gegenwart unklar ist, hätte sich sein Scheitern gelohnt.

Technik kann uns nicht retten

Robert Habeck jedenfalls scheint das verstanden zu haben. Nach dem ewigen Koalitionsausschuss sprach er beim Auftritt in der Talkshow von Markus Lanz zwar nicht direkt über den verlorenen Klimaentscheid. Aber „die öffentliche Debatte“ sei „durchaus eingeflossen in die Diskussion“.

Man kann die neuen Kompromisse der Ampelkoalition zur Klimapolitik dann trotzdem für falsch halten, aber man kann nach dieser Woche auch nicht behaupten, dass die gemeine Regierung und die rückgrat­losen Grünen die Bevölkerung ausbremsen würden, die so irre gern radikale Klimapolitik hätte. Die Grünen sind nun mal eine 14,8-Prozent-Partei, und bisher wurde ihnen für ambitionierte Klimapolitik nicht unbedingt an der Wahlurne gedankt.

Den Beschlüssen der Ampel sieht man deshalb ihre Kompromisshaftigkeit an. Die Worte stehen da schwarz auf weiß, aber es benötigt nicht viel Fantasie, um die Halbsätze in den Farben Gelb und Grün zu markieren.

Ihr, liebe FDP, kriegt eure Planungsbeschleunigung für einige Autobahnen, wenn wir Grüne sie mit Photovoltaik zupflastern. Ihr bekommt eure Wärmepumpen, liebe Grünen, wenn wir Gasheizungen mit Wasserstoff betreiben dürfen. Es ist die Ausweitung des Prinzips E-Fuel, nicht nur technisch, sondern politisch.

Die Koalition hat sich, auch mit Blick auf den Widerstand in der Bevölkerung, dafür entschieden, die Klimakrise mit zwei in der deutschen Politik bewährten Methoden zu bearbeiten: Mit Kompromissen. Und mit Technik. Kann der Ausbau der Erneuerbaren so schnell vorangehen, dass wir weiterleben können wie bisher? Die Koalition sagt: Top, die Wette gilt.

Nur lassen sich zwar mit dem Koalitionspartner Kompromisse machen, aber nicht mit dem Klima. Und je mehr Ausnahmen und Autobahnbrücken beschlossen werden, desto radikaler muss die Klimapolitik der nächsten Jahre werden. Das ist Physik, nicht Politik.

Was allerdings Politik ist: all die Schienen, Wasserstoffheizungen und Wärmepumpen muss jemand bezahlen. Im Papier der Ampel findet sich auf der Einnahmeseite nur einer: Der Lkw-Spediteur, der nun eine höhere Maut bezahlen soll. Kosten also, die Verbraucher mit jeder aus Spanien importierten Gurke bezahlen werden.

Die Ampel hat sich entschieden, die soziale Frage vorerst nicht zu beantworten, auch das hat sich in Deutschland bewährt. „Niemand wird im Stich gelassen“, heißt es im Abschlusspapier vage. Ob das bedeutet, dass jeder Mittelschichtsfamilie ihre Wärmepumpe subventioniert wird wie bisher und wie das mit der Schuldenbremse zusammengeht, beantwortet das Papier nicht.

Mehr Populismus wagen

Gute Klima­politik arbeitet nicht gegen das Reihenhaus, sondern mit ihm. Eine Solarsiedlung in Gelsen­kirchen Foto: Andreas Herzau/laif

Was bedeutet es, dass die Klimakrise nun in der Gegenwart und „im Heizungskeller“ angekommen ist, wie die Zeit schreibt?

Dass sie dort schleunigst wieder rauskommen muss.

Im Privaten hat die Klimakrise nämlich nichts zu suchen. Und das hat nichts mit Bequemlichkeit zu tun und dem Unwillen, aufs Auto verzichten zu wollen.

Wer darauf wartet, dass irgendwann Mehrheiten aus Vernunft und Überzeugung für unbequemen Klimaschutz sind, glaubt auch, dass Menschen aus Vernunft nach einer Pandemie weiter Masken tragen.

Menschen engagieren sich oder gehen wählen, weil sie sich einen Vorteil für ihr Leben und das ihrer Mitmenschen erhoffen. Das ist auch nicht verwerflich.

Will Klimapolitik erfolgreich sein, kann sie die soziale Frage, die nach der Verteilung der Kosten nicht weiter ausklammern, wie es die Bundesregierung tut. Die ärmere Hälfte der deutschen Gesellschaft hält sich schon heute nahezu an die Grenze von höchstens 5,3 Tonnen CO2 pro Person – dem Ziel der Bundesregierung für 2030.

Die soziale Frage mit der Klimafrage verbinden, das heißt: Mehr Populismus wagen. Klimasteuern für Reiche, das wäre ein Anfang. Von einer Ampelkoalition wäre das zu viel verlangt. Aber was macht eigentlich die Klimabewegung?