Neuer Roman von Arno Frank: Ottersweiler ist überall
Pommes und Depressionen am Beckenrand: Arno Franks neuer Roman „Seemann vom Siebener“ spielt am letzten heißen Sommertag in einem Freibad.
Lennart kommt aus der großen, weiten Welt zurück in die Provinz, kehrt an den Ort zurück, von dem er einst aufgebrochen ist. Schon wieder einer. Wie schwierig sie ist, diese Rückkehrerei, ist nun schon oft beschrieben worden in der Literatur. Meist kommt die Provinz da nicht allzu gut weg. Finster ist es da, verschwiegen sind die Leute. Und oft sind sie nicht viel mehr als belebte Kulissen bei der Erkundung des Seelenlebens derjenigen, die sich einst aufgemacht haben.
Es ist ja gewiss nicht leicht, in New York loszufliegen, um im Fremdenzimmer vom Gasthof „Ochsen“ in Ottersweiler zu landen und schier erdrückt zu werden von der dunkelbraunen Beize der Holzpanele an den Wänden. In Arno Franks Roman „Seemann vom Siebener“ ist der zu Ruhm gekommene Fotograf Lennart der Rückkehrer. Doch er ist nicht der Protagonist, um den sich alles schart. Er ist nur einer der zahlreichen Kleindarsteller, die sich am vielleicht letzten heißen Tag des Sommers im Freibad treffen.
Da ist natürlich der in die Jahre gekommene Bademeister, von dem man nicht so recht weiß, ob er zum Rettungsschwimmer wirklich noch das Zeug hat. Da ist die Kassiererin am Einlass zum Bad. Der Jugo, der die Pommes frittiert. Eine pensionierte Lateinlehrerin, die gerade merkt, dass sie sich nicht mehr alles merken kann. Die Erzieherin mit ihrer Kindergruppe. Die junge Witwe, die unsicher ist, ob sie am Tag der Trauerfeier für ihren Mann ins Freibad gehen kann.
Und da ist die Schülerin, die mit frisch geschorenen Haaren am Sprungturm die Befreiung aus ihrer Depression sucht. Immer wieder wechselt die Erzählperspekive. So werden alle Mitwirkenden immer wieder zu Hauptpersonen in diesem Roman, den man gut und gerne als literarisches Lehrstück über die deutsche Provinz bezeichnen kann.
Würdige Beschreibung
Frank – der als Journalist auch für die taz schreibt – könnte es sich leicht machen und alles Schäbige, was einem auf Schritt und Tritt in diesem Ottersweiler begegnet, ins Lächerliche ziehen. Tut er aber nicht. Wie er es etwa schafft, die kettenrauchende Frau an der Freibadkasse, die wegen massiver Alkoholprobleme einst ihren Job in der örtlichen Bankfiliale verloren hat, so würdig zu beschreiben, wie es jedem Menschen zustehen sollte, das ist so überraschend wie wohltuend. Sie sind wahrlich nicht immer liebenswürdig, die Figuren, doch Frank zeichnet sie so hingebungsvoll zugewandt, dass man sie einfach nimmt, wie sie eben sind.
Arno Frank: „Seemann vom Siebener“. Tropen Verlag, Berlin 2023. 240 Seiten, 24 Euro
Der Bademeister, der nie viel hatte im Leben und dessen geerbter Papagei die schmutzigen Vokabeln in die Welt trällert, die seine Mutter benutzt hat, als die mit Telefonsex ihre Rente aufbessern musste, ist keine Witzfigur. Da kann er sich und seine Wampe noch so ungeschickt und langsam zu dem Notfall wuchten, zu dem er gerufen wurde. Gut möglich, dass seine Zeit am Beckenrand bald auslaufen wird, wenn wirklich umgesetzt wird, was im Gemeinderat diskutiert wird. Ohne Spaßbadelemente, glaubt man da, könne man heutzutage niemanden mehr in ein Freibad locken.
Wie nebenbei erfährt man, dass diejenigen, die schon früher die lautesten Sprüche geklopft haben, wenn gegen Ausländer gehetzt wurde, nun mit im Gemeinderat sitzen. Ist halt so. Und wenn sich zwei Schulmädchen um die Gunst eines Jungen bemühen, so kann es eben durchaus sein, dass dieser Hassan heißt. Warum auch nicht?
Die Provinz ist schließlich nicht aus der Welt. Und sie ist wahrlich nicht immer gut. Die patente Erzieherin, für die es kein Problem ist, einer ganzen Kindergartengruppe Herrin zu werden, ist dann doch überfordert, den offensichtlich kriegstraumatisierten Ali in die juchzende Bande zu integrieren.
Versuchte Flucht aus der Provinz
Nein, ein leichter Ort ist das Freibad von Ottersweiler gewiss nicht. Der Bademeister weiß das am besten, weil ihm die Bilder nicht aus dem Kopf gehen wollen von jenem Tag, an dem er die Leiche eines jungen Mannes gesehen hat, der vom Sieben-Meter-Turm gesprungen ist, als das Wasser abgelassen war. Und leicht ist das Leben für die junge Witwe auch nicht gewesen, als ihr Mann noch gelebt hat, schließlich war er der Sohn des Spediteurs, des großen Unternehmers, ohne den nicht viel läuft im Ort.
Der Sohn hat es auch mit der Flucht aus der Provinz versucht in die Start-up-Welt von Berlin. Seine Rückkehr endete mit einem tödlichen Verkehrsunfall. Und jetzt steht Lennart vor der Witwe, und sie fragen sich, ob damals, als sie jung waren, nicht doch etwas zwischen ihnen hätte sein müssen, was dann nicht war. Alte Liebe?
Irgendwie passiert eben doch alles in dieser Provinz, in der eigentlich nichts los ist. Was für ein fesselndes Porträt der Normalität dieser Roman doch ist!
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