Tony Blair bleibt stur

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

In Abwandlung eines alten Sprichwortes könnte man den Auftritt des amtierenden Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker gestern vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments mit dem Satz kommentieren: „Der Humor stirbt zuletzt.“ Obwohl der Luxemburger Premier vor den Abgeordneten deutlich machte, dass die Chancen auf eine Finanz-Einigung beim EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel gegen null tendieren, sagte er in unnachahmlicher Juncker-Diktion: „Ich erwarte mit einer Freude, deren Ausmaß ich nicht beschreiben kann, wie der britische Premier hier im EU-Parlament demnächst die Finanzverhandlungen fortführen wird.“

In wenigen Tagen, am 1. Juli 2005, geht der Vorsitz der Europäischen Union nach Ablauf des Luxemburger Halbjahres an Großbritannien über. Wie Blair dann seine Totalblockade fortführen will, ohne sich als Ratsvorsitzender komplett unmöglich zu machen, bleibt sein Geheimnis. So prognostiziert Juncker denn auch jetzt schon: „Ich bin ziemlich sicher, dass wir diesmal nicht zu Potte kommen. Und dass der Kompromiss am Ende nur Millimeter neben dem neuen Luxemburger Vorschlag liegen wird.“

Den Bürgern, so Juncker verbittert, könne dieses Gefeilsche niemand mehr erklären. Auf den Hinweis mehrerer deutscher Abgeordneter, die Wähler aus den Nettozahler-Ländern wollte nicht ständig mehr Geld nach Europa überweisen, sagte er: „Wieso leitet jemand besondere Ansprüche daraus ab, dass er Nettozahler ist? Ich komme aus einem Nettozahlerland und lebe deutlich lieber in Lebensbedingungen, die mich zum Nettozahler machen. Warum wird immer der Eindruck erweckt, Nettoempfänger würden keinen Beitrag zum Zusammenwachsen Europas leisten?“

24 Regierungen haben inzwischen signalisiert, dass sie den neuesten Kompromissvorschlag, der bei 1,056 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Gemeinschaft liegt und 870 Milliarden Euro für sieben Jahre umfassen würde, notfalls akzeptieren können. Nur Britanniens Premier Tony Blair stellt sich weiterhin stur. Der Luxemburger Vorschlag sieht vor, dass der britische Beitragsrabatt auf dem Stand von 2003 (5,2 Milliarden Euro im Jahr) eingefroren werden soll. Da das jährliche Budget mit der Erweiterung steigt, würde eigentlich auch der Rabatt steigen. Die nach diesem Vorschlag eingesparten Milliarden sollen den Nettozahlern Deutschland, Schweden und Niederlande zugute kommen.

Mehrere EU-Abgeordnete erinnerten gestern daran, dass sich auch das EU-Agrarbudget überlebt habe. „Europa ist keine Agrargesellschaft mehr, der Übergang in die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft ist in vollem Gange“, sagte der liberale Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Doch Jacques Chirac will von dem im Oktober 2002 mit Schröder ausgehandelten Agrarpaket keinen Millimeter abrücken. Wenn nicht irgendwann in der Nacht zum Samstag alle Beteiligten Vernunft annehmen, ziehen sich die Verhandlungen wohl bis ins Jahr 2006. Nach dem ursprünglichen Plan wäre im 2. Halbjahr Deutschland mit dem Vorsitz an der Reihe. Doch Bundeskanzler Schröder erinnert immer gern daran, dass er, um den Finanzstreit ganz sicher „von der Backe“ zu haben, den Platz mit Finnland tauschte. Die nächste deutsche Ratspräsidentschaft startet im Januar 2007 – bis dahin ist der europäische Haus-halt hoffentlich beschlossene Sache.

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