Ruhrnächte sind orientalisch

Einst ging es um „Kultur für alle“. Das multikulturelle Kulturfest Kemnade International hat sich längst von seinen studentischen Wurzeln befreit. Heute ist es eher ein reines Weltmusik-Festival

VON PETER ORTMANN

Gelbe Bällchen für zehn Pfennig, die marokkanischen Studenten Couscous nannten und in einem Blechtopf kochten. Ein paar Kerzen. Hinter dem selbst gezimmerten Stand trommelt jemand auf einer Ghaita. Die fremdländischen Namen kannte 1974 bei der ersten „Kultur für Alle“ an der Ruhr noch niemand. Dafür wurde für das multikulturelle Fest mit echten Lithografien plakatiert. Drei Jahrzehnte später steht das Hartweizenmehl in fast jedem Supermarkt. Das Fest heißt inzwischen Kemnade International. Studenten kochen nur noch als Küchenhilfe. Kulinarische Profis haben längst ihren lukrativen Job übernommen.

Ab heute versuchen über 60 Künstler auf drei Open-Air-Bühnen bis tief in die Nacht ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Der Westdeutsche Rundfunk präsentiert Kemnade International 2005 als Weltmusik-Fest. Motto: „orient meets occident“. Im Ruhrgebiet leben inzwischen die Kinder und Enkel der in den sechziger Jahren zugewanderten Gastarbeiter, die sich hier eine dauerhafte Existenz geschaffen haben. Größte Gruppe bilden die türkischen Mitbürger. Sie organisieren hier in diesem Jahr ein eigenes deutsch-türkisches Kulturprogramm, das im Oktober mit einem großen Melez-Festival in der Jahrhunderthalle Bochum endet. In der Wasserburg Haus Kemnade, die im Ruhrtal an der Grenze von Bochum, Witten und Hattingen liegt, sind sie mit Muammer Ketencoglu, dem blinden Akkordeonspieler vetreten und mit türkischem Jazz aus der Region.

Dazwischen Welt-Musiker, die ihre Instrumente mit exklusiver Virtuosität beherrschen. Wie Blue.Green.Planet, die am Samstag Abend wieder riesige Felltrommeln, gewaltige Didgeridoos, eine mannshohe Bassflöte, aber auch Indianerflöten und eine afrikanische Kalimba auf der Bühne 3 aufbauen. Heute abend sind erst einmal kubanische Musiker zu hören. Hoyo Colorao lassen HipHop auf typische Salsa-Rhythmen treffen. Mit ihrem Song „Di que no“ sind sie seit Monaten in den kubanischen Charts. Die achtköpfige Band formiert sich um den DJ Humberto Escuela Fernandez und den Sänger Karoll William Perez Zambrano, die alle Stücke komponieren. Das Festival beschließt am Sonntag der spanische Flamenco-Gitarrist Rafael Cortes y Grupo. Er gilt als Zauberer auf seinem Instrument.

Nicht alle sind mit dem Wandel des Kulturfestivals zufrieden. Der ursprüngliche Charakter ist durch die Professionalisierung zum Weltmusik-Festival verloren gegangen. Gegenseitiges Kennenlernen bei einer offenen Veranstaltung unter Beibehaltung der eigenen Sprache und Kultur ist da nur noch am Rande möglich. Der 11. September 2001 führte zudem zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen, der Argwohn zu den Migranten in der Nachbarschaft ist wieder gestiegen. Viele Besucher aus dem Ruhrgebiet wollen zwar mal was anderes essen und die Musiker auf der Bühne sehen, die fremdländischen Menschen davor aber nicht kennen lernen. Das war vor drei Jahrzehnten noch anders, dokumentiert von der Ausstellung „Kemnade International – ein Festival im Wandel der Zeit“, die noch bis Ende Juni im Innern der Wasserburg zu sehen ist.