berliner szenen
: Fair gehandelte Lyrik

Ich sitze an einem schweren Holztisch in einer Eckkneipe in Moabit und warte auf meinen Freund A., der verschlafen hat. Frag nicht, bin gleich da, schrieb er, und ich frage lieber nicht, sehe stattdessen abwechselnd in mein Handy, auf den Bierschaum im Glas oder die hinteren Ritzen der beiden Männer am Tresen, deren Hosen ein Stück zu tief gerutscht sind. „Das hat mit dem Bauch zu tun“, erklärte A. mal. „Wenn der zu dick wird, passt die Hose nicht mehr hoch genug, also zeigt sich beim Sitzen das hintere Dekolletee.“

„Danke, dass du mir das sagst“, entgegnete ich, und er sagte: „Ich mansplaine am liebsten über alte Männerkörper. Ich halte quasi Mansplaining-Vorlesungen über Männerkörper.“

Ein Mann mit Hut bleibt vor dem Tisch stehen und sagt: „So ein freundliches Gesicht, das ist schön.“ Ich höre auf zu lächeln. Er kramt in seiner Tasche und fragt: „Darf ich dir ein persönliches Gedicht schreiben? Es kostet dich ein großes Bier.“

„Ach, wieso nicht“, sage ich. „Schön“, findet er und freut sich. „Du darfst zwei Wörter nennen, die dich grade bewegen.“ Ich überlege und sage dann: „Moabit und Bier.“ Er setzt sich geschäftig auf die Stuhlkante, zückt Stift und Papier und beginnt in winzigen Buchstaben ein paar Zeilen zu schreiben. Manchmal sieht er mich dabei sinnierend an. Dann faltet er das Blatt, reicht es mir und sagt: „Erst später lesen und tief im Herzen bewegen. Ich hol mir mal das Bier, ja?“

Als A. kommt und bestellt, öffne ich das Blatt und lese: „Holde Maid aus Moabit/ Ich schreib dir heut n schönes Lied/ Bekommst die Verse zum Plaisier/ und ich krieg noch ein großes Bier/ Doch was im Leben auch geschieht,/ kriegst nen Ratschlag auf Kredit:/ Nur wer richtig dichten kann,/ ist und bleibt ein echter Mann.“

Ich muss laut lachen. Und der Dichter prostet mir von der Theke aus zu.

isobel markus