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: „Die reinen Texte sind kaum auszuhalten“

In Bremen erinnert eine musikalische Lesung an die Deportation der Sinti und Roma in die Vernichtungslager

Interview Benno Schirrmeister

taz: Ist Musik nicht viel zu schön, um an den Porajmos zu erinnern, die Deportation und Ermordung der Sinti und Roma, Herr Lorenzen?

Ralf Lorenzen: Das ist eine Frage, die nur jene entscheiden können, die noch immer unter diesen Ereignissen leiden, deren Familien ausgelöscht worden sind. Und die sind es ja auch, die bei unserer Lesung die Musik machen, aus dem Gefühl heraus, dass sich sehr viel von ihrem Schmerz und Leiden erst in Musik ausdrücken lässt. Aber es stimmt: Dass diese Musik dabei wirklich sehr schön ist, mag eine Irritation sein für andere, die keine Opfer zu beklagen haben. Musik macht es einfacher, die Schrecken zu ertragen und anzunehmen.

Ohne sie zu übertönen?

Ganz sicher wird hier nichts geglättet. Aber diese Ereignisse überfordern, denke ich, einen rein kognitiven Ansatz. Musik ermöglicht vielleicht Zugänge zu diesen unbewussten Aspekten, dem Irrationalen, die über Texte nicht erreichbar sind.

Die wären auch schwer zu ertragen, gerade für Schüler*innen, an die sich die Veranstaltung ausdrücklich auch richtet.

Foto: privat

Ralf Lorenzen

64, ist Autor, Moderator und Journalist, u.a. für die taz.

Da ist was dran. Zumal wir diesmal in Bremen auch, anders als vor vier Jahren, auf das szenische Element verzichten, der reine Wortlaut also noch mehr im Mittelpunkt steht. Zwar erfassen die Texte auch das Moment des Widerständigen, und gerade von Schauspieler Rolf Becker mit seiner wunderbaren Stimme vorgetragen, sind sie sehr lebendig. Aber die reinen Texte sind dort, wo es um die Verfolgung und Vernichtung an sich geht, kaum auszuhalten.

Dieses Jahr jährt sich die Deportation aus Bremen zum 80. Mal. Sollte eine solche Veranstaltung nicht auch jenseits runder Jahrestage stattfinden?

Ja. Zumal die Geschichte ja nicht abgeschlossen ist, sondern sich fortschreibt, und zumal wir in Bremen die wirklich einzigartige Situation haben, dass der historische Ort der Deportation auch derjenige des künstlerischen Gedenkens ist: Die Sinti und Roma sind hier am Schlachthof zusammengetrieben worden, der heute ein Kulturzentrum ist. Es war auch nach der Premiere 2019 eine Neuauflage für März 2020 vorbereitet, die dann aber wegen Corona entfiel. Wenn jetzt ermöglicht würde, das regelmäßig zu machen, das wäre absolut in unserem Sinne.

Die Geschichte schreibt sich fort?

Drei Tage im März. Musikalische Lesung von Dardo Balke und Ralf Lorenzen, mit Rolf Becker: Di, 21. 3., 11 Uhr und 19.30 Uhr, Bremen, Kulturzentrum Schlachthof

Bei unserer Inszenierung 2019 hatten wir ja auf die Geschichte der Familie Schwarz fokussiert. Die lebte direkt am Schlachthof – und infolge unseres Projekts ist der Platz, an dem der steht, mittlerweile umbenannt worden in Familie Schwarz-Platz. Zugleich wussten wir vor vier Jahren noch sehr wenig über sie, außer den Aussagen aus den Dokumenten, also etwa, dass ihre Kinder alle in die Schule an der Gothaer Straße gesteckt worden waren – eine Sonder- oder wie man damals sagte Hilfsschule. Durch die Forschungen des Historikers Hans Hesse hat sich die Quellenlage deutlich verbessert.

Inwiefern?

Zum Beispiel haben wir jetzt Fotos der Familie, deren Angehörige wir uns bis dahin nur hatten vorstellen können, das war wirklich sehr berührend. Außerdem ist ihm sogar gelungen, den Sohn der einzigen Überlebenden dieser 12-köpfigen Familie ausfindig zu machen. Dessen Stimme haben wir, gesprochen von Rolf Becker, in unsere Lesung integriert.