Die Stadt plant am liebsten ohne ihre Bürger

Selbstbewusst, selbstkritisch, wehmütig, aber nicht verklärt – auf der Kölner Podiumsdiskussion zu „25 Jahre Stollwerck“ fordern Ex-Besetzer, Architekten und Stadtplaner mehr Bürgerbeteiligung bei aktuellen Bauvorhaben

KÖLN taz ■ „Ohne uns sähe das Stollwerck-Viertel heute anders aus!“ Der Blick zurück 25 Jahre nach Besetzung und Räumung der ehemaligen Schokoladenfabrik im Kölner Severinsviertel war selbstbewusst und selbstkritisch, etwas wehmütig, aber nicht verklärt. Im Kino Odeon hatten sich am Mittwoch Abend ehemals Beteiligte – Besetzer, Architekten und Stadtplaner – zu einer Podiumsdiskussion versammelt. Doch ihr Blick ging auch nach vorn, zu den aktuellen Veränderung in der Stadt und die Beteiligung der Bürgerschaft daran.

Spektakulär war es 1980 zugegangen. Nach jahrelanger Hinhaltetaktik durch die Stadt hatten 500 Menschen am 20. Mai die leer stehenden Fabrikgebäude besetzt, um hier selbst verwaltet zu leben. Das Wichtigste aber: Sie bauten nach Plänen der Architekten Christian Schaller und Stephan Groener, beide bei der Diskussion dabei, eine Musterwohnung. Lange vor dem Modetrend „Loft“ wollten sie zeigen, dass in einer Fabrik Wohnraum für einkommensschwache „Alt-Vringsveedeler“ entstehen kann. Die Stadt wollte abreißen und für finanzstarke Neu-Südstädter bauen. Nach 47 Tagen beendete die Polizei die Besetzung.

Zwar wurde danach ein Großteil der Fabrik abgerissen, in der neuen Siedlung aber entstanden nun auch Sozialwohnungen. „Warum ist diese Mischung nicht auch beim Rheinauhafen gelungen?“, schlugen Ex-Besetzer Klaus Bremen und Architekt Schaller den Bogen zur Gegenwart. Dort, direkt gegenüber dem neuen Stollwerck-Viertel, entstehen gerade teure Wohnkomplexe. „Es gab solche Pläne“, erinnerte Bela Dören (SPD), bis vor zwei Jahren noch Kölner Baudezernent. Doch auf einer Bürgeranhörung sei es nicht um Bewohner, sondern um eine spektakuläre Architektur gegangen. Schaller blieb eine (selbst-)kritische Note an die Verhinderer der damaligen Kahlschlagsanierung vorbehalten: „Ihr Erfolg bedeutete auch die schleichende Segregation der Ausländer als neue Unterschicht.“

Warum mischen sich Kölns Bürger nicht mehr so in die Stadtplanung ein wie vor 25 Jahren in der Südstadt, im Agnesviertel, in Nippes? Immerhin standen und stehen einige Großprojekte an: das ehemalige Bundesbahnausbesserungswerk Nippes, der Güterbahnhof in Mülheim, die Chemische Fabrik Kalk. Das Podium suchte nach Erklärungen. Da seien etwa die schleichenden Veränderungen, die man zunächst kaum wahrnimmt, die Vergabe an Projektentwickler statt an Stadtentwickler oder an private Investoren. Die Stadt, der Bürgerbeteiligung eher lästig ist, scheint aus Stollwerck gelernt zu haben. Immerhin: Es gibt künftig Gelegenheit, Ideen zu artikulieren. Für September plant das Historische Archiv eine Ausstellung zur Stollwerck-Besetzung, die auch Gegenwart und Zukunft der Bürgereinmischung beleuchten soll (Vorschläge an Eberhard Illner, Historisches Archiv, Severinstr. 22-28, 50675 Köln, hastk@netcologne.de). JÜRGEN SCHÖN