Sammeln als demokratisches Projekt

Das „Archiv für Forschung und Dokumentation Iran“ trägt seit Anfang der 90er-Jahre Material über die Opposition und Menschenrechtsverletzungen im Iran zusammen. Das Datenmaterial ist online zugänglich und wird weltweit genutzt

VON BEATE SELDERS

„Sie wollen meine Meinung zu den Wahlen im Iran wissen? Schreiben Sie etwas Satirisches über den Favoriten Ali Akbar Rafsandschani“, schlägt Golroch Jahangiry vor. Rafsandschani soll Drahtzieher zahlreicher Morde an Oppositionellen sein. „Mehr braucht man zu den Wahlen nicht zu sagen.“ Sie lacht mit angehobenen Schultern und ausgebreiteten Armen.

Golroch Jahangiry ist Gründungmitglied des Vereins „Archiv für Forschung und Dokumentation Iran“. In den Kreuzberger Räumen des Vereins ist alles dokumentiert rund um das Geheimdienstattentat im September 1992 auf vier iranisch-kurdische Oppositionelle im Berliner Restaurant Mykonos. Hier lagern seitenweise Protokolle des langwierigen Prozesses, bei dem das Gericht letztlich zu dem Schluss kam, die iranische Staatsführung, an der Spitze Präsident Rafsandschani, habe die Morde in Auftrag gegeben.

Drei Stufen sind es vom Gehweg zur Ladentür. Dahinter zwei Räume, die hohen Wände bedeckt mit Büchern und Ordnern. Es riecht nach Ofenheizung und altem Papier, im engen Flur gurgelt über Bücherkisten die Kaffeemaschine. Insgesamt 310 laufende Meter Bücher und Ordner mit mehr als 8.000 Flugblättern, 13 Meter sortierte Zeitungsstapel und 200 Plakate. Gesammelt wird historisches und aktuelles Material über die Opposition im Iran, sei sie monarchistisch, sozialistisch oder religiös orientiert, sowie Dokumente über Aktivitäten im Exil, von Kultur- über Flüchtlingsvereinen bis zu den politischen Gruppen und Parteien.

„Nach den Mykonos-Morden haben wir erfahren, wie wichtig Dokumentation ist“, berichtet Hamid Nowzari, der ebenfalls von Anfang an dabei war. „Ein Jahr vor dem Attentat hatten wir mit dem systematischen Sammeln begonnen. Danach sichteten wir unser Material. Dabei fielen uns kleine Begebenheiten auf, denen niemand Bedeutung beigemessen hatte. Plötzlich begriffen wir deren Zusammenhang mit den Vorbereitungen des Geheimdienstes für das Attentat.“

Dokumentieren, davon sind beide überzeugt, ist auch in anderer Hinsicht überlebenswichtig. Es geht um viel mehr als um das Sammeln bedruckter Blätter: Es geht um das Erbe von drei Oppositions- und Exilgenerationen, um den Kampf gegen Geschichtsfälschung und letztendlich um den Sinn der eigenen Biografie. „Es sind so viele umgebracht worden“, sagt Golroch Jahangiry. „Informationen darüber wurden damals und werden heute immer noch unterdrückt. Der Terror, die massenhaften Verhaftungen und Hinrichtungen sind nicht präsent im öffentlichen Bewusstsein.“

Und Hamid Nowzari ergänzt: „Als wir das Archiv gründeten, waren wir eine mündliche Generation. Nichts war von uns übrig geblieben außer dem, was der Geheimdienst und andere staatliche Stellen im Iran mit repressiver Absicht und unter Verschluss archiviert hatten.“ So wurde das Sammeln und Archivieren von Oppositionsgeschichte selbst zum oppositionellen, demokratischen Projekt.

Besonders wertvoll ist die Sammlung von Briefen aus den Gefängnissen und Niederschriften ehemaliger politischer Gefangener. Privatpersonen und Organisationen aus der ganzen Welt stellen das Material aus ihren Archiven zur Verfügung. Über eine Online-Datenbank wird es international genutzt: Weltweit gibt es wenig Vergleichbares. Und das integrierte Frauenarchiv, in dem feministische und andere geschlechterpolitische Aktivitäten dokumentiert werden, ist nach dem Urteil der NutzerInnen einzigartig im internationalen Exil.

Das Archiv finanziert sich über die Beiträge der inzwischen über 200 Mitglieder. Es steckt eine Unmenge an ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden darin. Die Ofenheizung tut dem Material nicht gut, aber Geld für andere Räume oder das Binden von Zeitschriften fehlt. Auch Belletristik kann nicht mehr angeschafft werden. Damit geht ein Nutzerkreis verloren, der dem Verein genauso wichtig ist wie wissenschaftlich oder politisch Interessierte. „Wir machen alle völlig verschiedene Sachen“, sagt Hamid Nowzari, „aber hier sind wir eine Exilgemeinde.“

Archiv für Forschung und Dokumentation Iran Berlin e.V. , Waldemarstr. 36, www.comm-online.de/afdi/ Heute demonstriert um 12.30 Uhr u. a. der Verein Iranischer Flüchtlinge vor der iranischen Botschaft „gegen die undemokratischen Wahlen und systematischen Menschenrechtsverletzungen“