Buch über Politisierung der Stadtplanung: Kybernetik und Revolte
„Umstrittene Methoden“ heißt das Buch des Architekten Jesko Fezer. Er untersucht, wie Design und Stadtplanung in den 1960ern politisiert wurden.
„Urbane Praxis“ nennt sich heute die Bewegung für eine Stadtentwicklung von unten. Innerhalb ihrer Flügel harmoniert es nicht immer. Konflikte zwischen denjenigen, die machen, und denjenigen, die analysieren, zwischen intuitivem Design und wissenschaftlich getriebenem Entwerfen, kehren immer wieder. Das aktuelle Buch „Umstrittene Methoden“ von Jesko Fezer durchzieht diese Konflikte wie sie schon vor gut sechzig Jahren in den internationalen Debatten um Design auftauchten.
Der Widerstreit verdeckt seit den 1960er Jahren das Gemeinsame beider Entwurfshaltungen, „ihre Distanz zur Wirklichkeit, ihre Leidenschaftslosigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Umständen und ihr Desinteresse an den Betroffenen oder Ausgeschlossenen von Gestaltung“, schreibt Fezer.
Der Architekt, Autor und Professor für experimentelles Design Jesko Fezer folgt den Streithälsen. Detailliert kämmt er hierfür die Bauhaus-Nachfolge der Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG Ulm) durch, auch weil in diesem regelrechten Gestaltungskloster seit seiner Gründung 1953 zentrale Figuren der Designtheorie wie Tomás Maldonado, Horst Rittel oder Otl Aicher auftraten. Das Thema Partizipation ließen sie alle aber zunächst außen vor.
Überwindung der bleiernen Nachkriegsmoderne
Einer Geschichte der Wissenschaftlichkeit im Design nachzugehen heißt für Fezer, die gesellschaftliche Position der Gestaltung selbst zu befragen. Erst zum Ende des voluminösen Buches, in den wilderen 1970er Jahren, kann der Autor offensichtlich durchatmen. Die bleierne Nachkriegsmoderne hatte auch das Design überwunden: „Auf der einen Seite etablierte sich eine Autonomisierung und Formalisierung von Gestaltungsfragen, auf der anderen eine Sozialisierung und Politisierung des Entwerfens.“
Jesko Fezer: „Umstrittene Methoden“. adocs Verlag, Hamburg 2022, 580 Seiten, 39 Euro
Der Designtheoretiker Horst Rittel ließ sich wie der Philosoph Jürgen Habermas ab 1957 vom Bundesministerium für Atomenergie finanzieren. Eine Studienreise führte sie auch in die USA, um Thinktanks im militärisch-wissenschaftlich-industriellen Komplex zu erkunden, dem bald schon das Silicon Valley entspringen würde.
Fezers tolle Entdeckung ist die TV-Sendung „Orakel“. Darin wurden 1971 Expert:innen, Datenbanken und Zuschauer-Call-ins live verkoppelt. Die Sendung ging weit über den Maßstab von runden Tischen hinaus, hier sollten demokratische Prozesse, Informatik und Gestaltung fusionieren.
Gewaltsam eingeklagte Partizipation
Das Aufkommen militanter Bürgerrechtsbewegungen, etwa um den People’s Park in Berkeley 1969, machten dann vor den Lehranstalten nicht halt: „Dort, wo Rittel, Alexander, Webber und Churchman als Professoren großen Einfluss ausübten […], kumulierten die US-amerikanischen Studierendenbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg“, schreibt Fezer. Protest als gewaltsam eingeklagte Partizipation „führte zu einem radikalen Einbruch der Realität in den Fachdiskurs.“
Erfahrungen von Krieg, Armut, Rassismus, aber auch Populär- und Subkultur durchbrechen eine zuvor recht akademisch geordnete Welt. Immer mehr Gestalter:innen begaben sich in konkrete Konfliktzonen – seien dies prekäre Quartiere vor der Haustüre oder ferne Slums. Wie der US-Planer Paul Davidoff es 1970 formulierte, „gab es immer eine Lobby für die Wohlhabenden. […] Neu ist jedoch eine wachsende Bewegung von Fachleuten, die einen Weg finden wollen, die Armen zu vertreten.“
Der schwarze Harvard-Architekt Max Bond stand dem Architects’ Renewal Committee in Harlem ab 1967 vor, nachdem er zuvor im postkolonialen Ghana Erfahrung gesammelt hatte. Nur wenige seiner Mitglieder befassten sich wie er mit „nicht-klassisch-architektonischen Projekten, wie Aufklärungskampagnen, Rechtsberatung, Mobilisierung, politischer Interessenvertretung und sozialer Stadtteilarbeit oder Bildung“.
Im revolutionären Portugal bildeten sich ab 1974 zahlreiche Wohnbaugruppen. Der aktivistische „Mobile Dienst für lokale Wohnunterstützung“ (SAAL) sollte für 40.000 Familien die prekäre Wohnsituation verbessern – auch durch direkte Beteiligung der Bevölkerung.
Das eingangs im Buch groß gedruckte Zitat „I would say forget it, forget the whole thing“ des Design-Masterminds Christopher Alexander macht klar, dass radikale Selbstbefragung der Disziplin nicht vor der eigenen Methodik halt machte. „Was wäre also heute ein antineutrales Entwerfen?“, fragt Fezer am Ende. Jetzt, wo doch technokratische Bauplanerfüllung traurige Wiederkehr feiert.
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