Pekings prekäre Doppelstrategie

Eine „Friedensinitiative“ für die Ukraine hatte China vollmundig angekündigt. Das Ergebnis entsetzt Europa und freut den Kreml

Admiral Nikolai Jewmenow, der Chef der russischen Marine (zweiter von rechts), sucht die Nähe zu seinen chinesischen Kollegen, wie hier bei einer Militärschau in Südafrika am 21. Februar  Foto: Themba Hadebe/ap

Aus Peking Fabian Kretschmer

Der Titel des von Peking groß angekündigten Dokuments hatte hohe Erwartungen geweckt: Am Freitag stellte die chinesische Regierung ihre Position „zur politischen Lösung der Ukrainekrise“ vor. In Europa dürfte das Dokument mit seinen zwölf Punkten allerdings Ernüchterung auslöst haben. Nichts am diplomatischen Vorstoß der Volksrepublik signalisiert auch eine Abkehr von ihrer bisherigen Position, die von Experten als „pro-russische Neutralität“ beschreiben wird – wobei die Betonung auf dem Präfix „pro“ liegt.

Kern des Papiers ist ein ­vager Aufruf zum Waffenstillstand: „Dialog und Verhandlungen sind die einzig machbare Lösung für die Ukrainekrise. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und letztendlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen.“ Ob dieser darauf beruhen soll, die derzeitigen Landesgrenzen anzuerkennen, bleibt offen.

Aus Sicht der Ukraine ist vor allem der erste der zwölf Punkte von Relevanz: „Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder müssen wirksam gewahrt werden“, heißt es. Sowie: „Alle Länder, groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft.“

Was sich auf dem Papier zunächst einmal gut liest, legt die Problematik des chinesischen Dokuments offen: Aus den Argumenten lässt sich eigentlich nur der Rückschluss ziehen, dass sich die Aggressoren aus der Ukraine zurückziehen müssen. Doch China sieht das offensichtlich anders: Als die UN-Vollversammlung in New York am Donnerstag über einen Abzug der russischen Truppen abstimmte, sprachen sich 141 von 193 Mitgliedstaaten dafür aus. China jedoch enthielt sich der Abstimmung – so wie Indien, Pakistan, mehrere afrikanische und zentralasiatische Staaten.

Wie prekär diese doppelgleisige Strategie Pekings ist, offenbart die Berichterstattung chinesischer Staatsmedien. Diese erwähnten in ihren Berichten zwar die Generalversammlung der Vereinten Nationen, verschwiegen kurioserweise aber komplett, wie China abgestimmt hat. Es scheint, als ob der chinesische Propaganda­apparat den offensichtlichen Widerspruch unter den Teppich kehren möchte. Man will einerseits als „friedliebende“ Nation wahrgenommen werden, feiert aber gleichzeitig unverhohlen eine „grenzenlose Freundschaft“ mit Moskau.

Chinas sogenannte Friedensinitiative, die erstmals bei der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt worden war, dürfte dem Kreml gefallen. Das Wort „Krieg“ vermeiden die Chinesen, stattdessen halten sie sich auch weiterhin am Begriff „Krise“ fest. Oder, wie ein Nutzer auf der chinesischen Onlineplattform Weibo das Papier kommentierte: „Kurz zusammengefasst: Russland und Putin unterstützen!“

Europa dürfte sich vor allem daran stören, dass China zur Aufhebung „unilateraler Sanktionen“ aufruft, die nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurden – in dem Russland, wohlgemerkt, als ständiges Mitglied über ein Vetorecht verfügt. Alle Parteien sollten sich „dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Werkzeug oder Waffe für politische Zwecke zu benutzen“, steht im Pekinger Papier.

Eine Investigativrecherche des Spiegels lässt Chinas sogenannte Friedensinitiative noch scheinheiliger erscheinen. Das Hamburger Nachrichtenmagazin deckte auf, dass ein Unternehmen namens „Xi’an Bingo Intelligent Aviation Technology“ mit dem russischen Verteidigungsministerium über die Lieferung von 100 Kamikazedrohnen verhandelt hat. Diese können einen Sprengkopf von bis zu 50 Kilogramm tragen und gegen die ukrainische Energieinfrastruktur und Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Das Pekinger Außenministerium streitet Waffenlieferungen nach Russland weiterhin ab, der Propagandaapparat reagiert ausweichend: Pekings nationalistische Influencer auf den sozialen Medien argumentieren, dass es sich bei dem beschuldigten Unternehmen um einen Privatkonzern handele, der möglicherweise ohne Erlaubnis der Regierung agiert habe. Glaubwürdig ist das nicht, zumal das Unternehmen von Wissenschaftlern der Northwestern Polytechnical University gegründet wurde – einer führenden Militäruniversität, die eng mit der chinesischen Volksbefreiungsarmee kooperiert.

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