Paragraphen aus Gummi

Paradoxe Konstellation: St. Pauli-Bewohner soll Abschleppgebühren zahlen, obwohl das Amtsgericht das Bußgeldverfahren wegen falschen Parkens eingestellt hat. Denn die Tat ist ja trotzdem begangen worden, findet die Polizei

von Elke Spanner

Karl-Heinz Haas hätte es sich auch einfacher machen können. Hätte er sein Auto gleich im Halteverbot geparkt, hätte er sich mühsames Rangieren gespart, und teurer geworden wäre es auch nicht. Denn Abschleppgebühren muss er ohnehin bezahlen, auch wenn er sich nichts zuschulden kommen ließ. Rund 200 Euro soll es den 35-Jährigen jetzt kosten, dass er im Oktober 2003 seinen Nissan ordnungsgemäß vor seiner Haustür in der Kastanienallee abgestellt hat. Den Kostenbescheid hat ihm die Innenbehörde geschickt, obwohl das Amtsgericht zuvor ein entsprechendes Bußgeldverfahren eingestellt hat.

Schon beim Einparken hatte sich Haas geärgert an jenem Abend: Zur Vorbereitung eines Bob-Dylan-Konzertes im benachbarten „Docks“ hatte der Veranstalter einen Großteil der Kastanienallee in St. Pauli in eine Halteverbotszone verwandeln lassen. „Die haben mal wieder die halbe Straße für sich beansprucht“, schimpfte Haas gegenüber seinem Mitbewohner und erklärte sich glücklich darüber, hinter dem Halteverbotsschild doch noch ein Plätzchen für seinen Wagen gefunden zu haben.

Am nächsten Morgen aber war der weg: abgeschleppt. Auf Nachfrage teilte die Polizei dem verdutzten Autofahrer mit, sein Wagen habe im Halteverbot geparkt. Die Erklärung dafür fand Haas, als er den „Tatort“ noch einmal unter die Lupe nahm: Das Halteverbotsschild war nur für das Konzert aufgestellt worden, folglich mobil, und offenbar hatte es jemand verrückt, nachdem Haas Nissan längst in seiner Parklücke abgestellt war.

Um das beweisen zu können, hat der 35-Jährige ein Polaroidfoto von seinem Parkplatz gemacht. Als er dann den Bußgeldbescheid bekam, legte er Einspruch ein, die Sache kam vor Gericht. Und der Richter stellte das Bußgeldverfahren ein, nachdem er sich Haas‘ Version angehört und dessen Foto gesehen hatte.

Haas glaubte, der Fall sei erledigt – bis er Mitte Mai 2005 Post von der Innenbehörde bekam. Die teilte ihm mit, dass er die Abschleppkosten zuzüglich der Widerspruchsgebühr zu tragen habe. Der Grund: den „Docks“-Betreibern zufolge sei das Halteverbotsschild fest einbetoniert, Haas‘ Vergehen somit eindeutig.

Haas schüttelt den Kopf darüber, dass die Innenbehörde ihm nun ein Vergehen unterstellt, obwohl das Amtsgericht das Bußgeldverfahren eingestellt hat. Möglich ist die paradoxe Konstellation, weil der damalige Amtsrichter das Verfahren unter Verweis auf einen weit interpretierbaren Paragraphen eingestellt hat: Die Ahndung der vorgeworfenen Tat, heißt es dort, sei „nicht geboten“. Wenn ein Rechtsverstoß nicht zu ahnden war, interpretiert Haas die Formulierung, „dann heißt das auch, dass er nicht begangen wurde“. Die Polizei aber hält dagegen, dass die Tat wegen Geringfügigkeit vom Gericht nicht restlos aufgeklärt wurde – was eben nicht heiße, dass sie nicht begangen worden ist.

„Ein Blick auf das Foto und der Sachbearbeiter der Innenbehörde hätte gesehen, dass das Halteverbotsschild damals noch nicht einbetoniert war“, sagt Haas. Er hat sich telefonisch vom Bezirksamt Mitte bestätigen lassen, dass das feste Schild erst drei Wochen nach dem Abschleppen installiert worden ist. Die Innenbehörde hingegen hat die Amtskollegen vom Bezirksamt nicht angerufen und Haas‘ Widerspruchsbegründung ungeprüft abgetan. Der sieht aber nicht ein, „200 Euro dafür zu bezahlen, dass andere Leute ihre Arbeit nicht erledigen“, und hat über seine Rechtsanwältin Klage gegen den Kostenbeschied eingereicht.