: Als Platt die Kirche entmachtete
Die Ausstellung „De gantze hillige Schrifft – 500 Jahre Bibeldruck in Hamburg“ in der dortigen Staatsbibliothek erzählt von der Kirchen- und Stadthistorie. Sie liefert zugleich viel norddeutsche Sprach- und Gesellschaftsgeschichte
Von Frauke Hamann
Hamburg ist schnell, damals. Schon 1529 setzt sich die Reformation in der Hansestadt durch – und sie verändert Hamburg, ja: ganz Norddeutschland für Jahrhunderte. Deshalb lohnt es sich auch unbedingt, die Ausstellung „De gantze hillige Schrifft – 500 Jahre Bibeldruck in Hamburg“ zu besuchen.
Die Bibel begegnet den Betrachter:innen in der Staatsbibliothek in zahlreichen Ausgaben, vom ersten in Hamburg gedruckten Buch, dem ersten Exemplar des Neuen Testaments auf Plattdeutsch bis hin zum Bibel-Wimmelbuch von heute. Das früheste Exponat ist ein Erbauungsbuch zum Lob der heiligen Jungfrau Maria von 1491. Seit diesem Jahr ist also auch der Buchdruck in Hamburg verbürgt.
Um 1500 leben rund 14.000 Menschen in der Stadt. Ungefähr ein Drittel von ihnen, darunter Mägde und Knechte, Packer und Träger im Hafen oder auch Brauersknechte, hat noch gar kein Bürgerrecht. 1522, also fünf Jahre nach Luthers Thesenanschlag in Wittenberg, wird in der Hansestadt bereits im Sinne der Reformation gepredigt. Das Domkapitel ist alarmiert, sieht seine Privilegien bedroht. Der Rat der Stadt beobachtet den wachsenden Zuspruch für die neue Lehre. Er lässt die Anhänger Luthers und die Vertreter des Katholizismus miteinander diskutieren. Wer hat die besseren theologischen Argumente? Nach elfstündigem Debatten-Showdown 1529 steht fest: Hamburg wird von nun an evangelisch.
„De gantze hillige Schrifft“ erzählt nun anhand bibliophiler Kostbarkeiten, wie der Sieg der Reformation in Norddeutschland überhaupt möglich war: Kurz nach Luthers hochdeutscher Übersetzung des Neuen Testaments 1522 wird es in Hamburg in niederdeutscher Sprache gedruckt: „Dat nyge Testament tho dude.“
Die erste Bibel auf Platt erscheint 1523 noch anonym. Weil sie der neuen Lehre verpflichtet ist, wird die Druckerei „Presse der Ketzer“ genannt. Wahrscheinlich verbirgt sich dahinter Simon Corver. Der Drucker aus dem niederländischen Zwolle muss sich ab 1522 in Hamburg aufgehalten haben, um der Verfolgung durch die Inquisition in der Heimat zu entgehen. Die „Presse der Ketzer“ veröffentlicht 1522/23 zahlreiche Texte in niederdeutscher Sprache.
Dieser Druck macht Druck: Die niederdeutsche Bibel-Version verbreitet sich rasch in der Stadt. Denn die Hamburger Bevölkerung spricht Platt, was so viel wie „verständlich“, „vertraut“, „rund heraus“ bedeutet. Die Menschen nehmen die Bibel in die Gottesdienste mit – und das bricht wiederum die priesterliche Deutungshoheit. So findet die neue lutherische Konfession immer mehr Zuspruch, und die Bürger:innen und Stadt lösen sich aus der klerikalen Bevormundung.
Hier ein kurzer Vergleich des Anfangs des ersten Buch Mose in Martin Luthers hochdeutscher Bibelübersetzung von 1533: „Am anfang schuff Gott hymel/ vnd erden/ vnd die erde war wüst und/leer“. Die plattdeutsche Fassung wortgetreu übersetzt lautet:
„Am anfange schoep godt hemmel/ vnde erde/ vnde de erde was woeste unde/ leddich.“
Zur Zeit der Hanse ist Plattdeutsch nicht nur der gesprochene Dialekt, sondern auch eine eigene, allgemein geschätzte Schriftsprache. Allein bis 1635 gibt es 193 niederdeutsche Bibeldrucke, wie die Germanistik-Professorin Ingrid Schröder erläutert. Da zu jener Zeit bis zu 400 Auflagen mit jeweils 2.000 bis 3.000 Exemplaren gedruckt werden, bedeutet das eine ungeheure Verbreitung. Doch der schrittweise Niedergang der Hanse verändert auch den Stellenwert des Niederdeutschen. Plattdeutsch bleibt zwar die Alltagssprache der Menschen auf dem Lande, verliert aber als Schriftsprache gänzlich an Bedeutung. Die städtische Verwaltung in Hamburg schreibt ab 1530 Hochdeutsch, erklärt Schröder, Leiterin der Abteilung Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität Hamburg. „Der Sprachwechsel findet parallel zur Reformation statt. Die Reformation hat ihn nicht ausgelöst, aber beschleunigt.“
Wie schon Luther seinen Bibeltext auf der Suche nach dem „rechten Sprachgebrauch“ mehrfach überarbeitet, entstehen im Laufe der Zeit zahlreiche, auch konkurrierende Bibelübersetzungen. Die Hamburger Staatsbibliothek zeigt beispielsweise ein Exemplar der ebenso großformatigen wie gewichtigen „Biblia pentapla“ („Fünffache Bibel“), die vier Textvarianten neben der Lutherübersetzung anbietet, darunter eine jiddische, eine katholische und eine niederländische Übersetzung. Als sie erscheint, also zwischen 1710 und 1712, war das so unerhört, dass das Buch in Wandsbek und Schiffbek gedruckt werden muss, was damals noch vor den Toren der Stadt lag.
Es ist verdienstvoll, dass die Kuratorin Anne Liewert bedeutende Leihgaben für diese Ausstellung gewinnen konnte. Denn die umfangreiche Bibelsammlung von Johann Melchior Goeze (1717–86), einst Hauptpastor von St. Katharinen in Hamburg, aufbewahrt in der Hamburger Staatsbibliothek, wurde während der Bombenangriffe 1943 zerstört. „De gantze hillige Schrifft“ verdeutlicht nicht nur Hamburgs Reichtum an Bibeldrucken und deren mächtige Wirkung. Diese bemerkenswerte Ausstellung erzählt darüber hinaus Kirchen-, Sprach-, Gesellschafts- und Bibliotheksgeschichte – bis in die jüngste Gegenwart.
„De gantze hillige Schrifft – 500 Jahre Bibeldruck in Hamburg: bis 26. März, Staatsbibliothek Hamburg, Eintritt frei
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