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Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang FuentesAngekettet in der Nationalgalerie

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Samstagmittag, also so um 14 oder 15 Uhr rum. Ungewöhnliche Zeit, um schon topfit am Potsdamer Platz rumzuhängen und Burger in sich reinzuschlingen.

„Was fangen wir nur mit dem Tag an?“, sagst du und beißt in dein Konglomerat aus Rindfleisch, Bacon, Chilisauce und Brötchen. Ein Schluck Bier hinterher.

„Wie wäre es mit …“ Ich schaue rüber zu dem flachen Gebäude aus Glas, Beton und Stahl. Heute lehnt eine überdimensionale verspiegelte Wand gegen Mies van der Rohes Gebäude, der Neuen Nationalgalerie. „I do you“ steht da oben in leicht abgeschnittenen Buchstaben. Später werde ich lesen, dass es sich hierbei um eine „feministische Aneignung“ des Raums durch die italienische Künstlerin und Professorin für Bildhauerei Monica Bonvicini handelt. Denn diesen Galerieraum hat schließlich vor vielen Jahren ein alter weißer Mann in seinem Barcelona Chair konzipiert, als man drin sogar noch rauchen und den Sekretärinnen hinterherpfeifen durfte. Diese Zeiten sind nun zum Glück längst vorbei und vergessen. Wir leben in einem postmodernen, anti-patriarchalischen Zeitalter. Oder so ähnlich.

„… ein bisschen Kunst?“, beendest du meinen Satz und wirfst das fettige Burgerpapier in einen Mülleimer. „Sehr gern.“

Wir laufen rüber und geben uns erst mal das ganze Zeug aus der Zeit von vor, zwischen und nach den Weltkriegen. Als Berlin zwischen Revolution, Eskalation und Faschismus stand. Und Otto Dix, George Grosz, Max Beckmann und Oskar Kokoschka die Kunstszene prägten. Gefällt uns ganz gut.

„Wollen wir uns noch die Spiegelsache oben anschauen?“ Wir laufen hoch und fast gegen unser Spiegelbild mitten im Foyer der Nationalgalerie. „Bitte halten Sie Abstand“, mahnt ein Aufseher. Wir schauen uns selbst an und treten zwei Schritte zurück.

„Entschuldigen Sie!“ Wir umrunden die Konstruktion aus Spiegel, Ketten und Baugerüst. Handschellen hängen an langen kalten Ketten von der Decke. Alle paar Meter; Handschellen. Und alle zwei, drei Meter steht da auch eine Person, schaut still vor sich hin. Angekettet. Eine feministische Aneignung also des durch einen Mann mit Zigarre konzipierten Raums.

„Die Proletarier dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Ketten“, murmele ich vor mich hin. Der Typ neben mir – in Ketten und im Rollkragenpulli – schaut mich verdutzt an. „Man bekommt die nach 30 Minuten wieder abgenommen“, sagt er und starrt weiter geradeaus. Hinter ihm und den Fenstern fahren welche Skateboard. Aber er schaut in die andere Richtung, Richtung Museumbesucher:innen. Richtung dem riesigen spiegelnden Schriftzug „Desire“. Doch sein Blick wirkt weit weg.

„Möchten Sie auch?“, fragt eine junge Frau im Hoodie mit Notizblock.

„Klar“, sagen wir fast unisono. Hätten wir wohl nicht gemacht, wenn wir gewusst hätten, dass sie uns an zwei möglich weit voneinander entfernten Punkten ankettet. 30 Minuten. Scheiße. Wir versuchen, miteinander zu kommunizieren.

Die Hoodie-Frau kommt vorbei: „Sie können natürlich das Kunstwerk so nutzen, wie Sie möchten. Aber laut Künstlerin ist es eher zur Kontemplation gedacht.“

Okay. Du setzt dich auf den Boden. Ich betrachte mich im Desire-Schriftzug und trage Lippenstift auf. Feministische Aneignung.

Zwei Frauen mittleren Alters und in hohen Stiefeln kommen vorbei und fragen, wo man sich denn hier anketten lassen könne. Und wie es sich denn anfühle. Ich sage, so wie sich das als Mensch immer anfühlt: unfrei. Sie trauen sich nicht.

Nach wahrscheinlich genau dreißig Minuten kommt die junge Frau im Hoodie zurück zu mir, holt einen Schlüssel aus der Tasche und befreit mich.

„Wie hat es sich angefühlt?“ – „Na ja, ich hatte ja die Sicherheit, wieder loszukommen. Wobei man dadurch, dass man selbst zum Ausstellungsobjekt wird, natürlich viel stärker auch die Objektifizierung der Frau innerhalb der Gesellschaft fühlt.“ Sie schaut mich irritiert an und nickt dann.

„Lass uns raus eine rauchen“, sage ich zu dir. „In der kalten Freiheit.“

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