Attac sieht EU-Verfassungskrise als Chance

Aufbruchstimmung beim Treffen der Globalisierungskritiker. Suche nach Alternativen zu dem Europa der Eliten

„Diese Krise stellt das Fundament der EU infrage“

BRÜSSEL taz ■ Sie sind die Sieger. Und so fühlen sie sich auch. Während die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brüsseler Gipfel in Ratlosigkeit versanken, herrschte bei dem Treffen der Globalisierungskritiker von Attac freudige Aufbruchstimmung: „Diese Krise stellt das Fundament der EU in Frage. Sie ist die Chance für einen Neuanfang“, sagte Bernard Cassen aus Frankreich, Mitbegründer von Attac. Seit langem gab es nicht so viel Zulauf wie zurzeit. Attac hatte gegen die Verfassung protestiert – und gewonnen.

In einem Brüssler Kulturzentrum versammelten sich in den letzten zwei Tagen die führenden Köpfe der Antiglobalisierungsbewegung. Sie wollten gemeinsam nach einer Alternative zum „Europa der Eliten“ suchen. „Die Menschen müssen Europa wieder selbst in die Hand nehmen. Sie müssen es so gestalten, wie sie es sich wünschen“, sagte Gerold Schwarz von Attac Deutschland. Attac will ihnen dafür die notwendigen Informationen an die Hand geben. In den nächsten Tagen starten Holländer und Franzosen eine „Tour d’Europe“, um den Menschen ihre Gründe für die Ablehnung der EU-Verfassung zu verdeutlichen. Ein Schwerpunkt wird dabei Polen sein. Die dortige Regierung hat angekündigt, den Volksentscheid noch in diesem Jahr durchzuführen. „Die Polen haben Angst, gegen die Verfassung zu stimmen, weil sie glauben, dass es dann kein Europa mehr gibt. Das ist aber kompletter Blödsinn“, meint die Präsidentin von Attac Polen. Wie in vielen der ehemaligen Ostblockstaaten gibt es in Polen kaum eine Diskussion über Liberalisierung. „Der Kapitalismus wird einfach so geschluckt. Keiner hinterfragt ihn.“

Die Attacler wollen aber nicht nur unter der Bevölkerung Gehör finden. Erstmals wurde eine Delegation am Rande des Gipfels von Vertretern der Luxemburger EU-Präsidentschaft empfangen. Attac legte ihr Programm für ein besseres Europa vor: Stopp aller liberalen Richtlinien, eine Neuorientierung der EU-Währungspolitik und die komplette Harmonisierung der Steuer- und Sozialpolitik auf europäischem Niveau. Aber die Ratsvertreter haben sich kein Stück bewegt, sagte Jacques Nikonov, Präsident von Attac Frankreich.

RUTH REICHSTEIN