Ein Land voller Apartheid

David Goldblatts Fotografien dokumentieren eine Welt, die sich verändert hat, deren Probleme oft aber die gleichen geblieben sind. Das museum kunstpalast in Düsseldorf zeigt 80 Arbeiten

VON KÄTHE BRANDT

Alltag in Südafrika. In einem überfluteten Minen-Tunnel haben einige Jugendliche gebadet, jetzt stellen sie sich für das Foto auf. Fernando Augusto Luta wäscht dort seine Wäsche. „In an abandoned mineshaft, Pomfret Asbestos Mine, North West Province. 25. December 2002“ lautet der Titel der Arbeit. Erst aus der Bildlegende erfahren wir, dass das Wasser vermutlich hochgradig asbestverseucht ist. Auf dem nächsten Foto zerschneiden Stacheldrahtzäune die kilometerweite Wüstenlandschaft und machen auf die im Juni 2004 noch bestehende Eigentums- und Machtverhältnisse in Südafrika aufmerksam. Im nächsten sitzt eine Frau sitzt mit ihren zwei kleinen Kindern in der bürgerlichen Stube ihrer Arbeitgeber. Sie haben ebenfalls Namen auf der Bildunterzeile. Bald darauf sind alle drei an Aids gestorben.

Die halb dokumentarischen, halb narrativen Bilder des südafrikanischen Fotografen David Goldblatt – aufgenommen mit einer von einem Freund selbst gebauten 4 x 5 Großbildkamera (Panfield) – beschreiben Facetten der heutigen Realität Südafrikas. Die Blätter hängen ungerahmt an der Wand. Hinsichtlich ihrer technischen Perfektion und der ungeheuren Detailschärfe erzeugen sie eine erstaunliche Bescheidenheit. Ihr soziales Engagement, macht die „Intersections“, so der Titel der Ausstellung im museum kunstpalast in Düsseldorf, zu Beschreibungen einer ambivalenten Wirklichkeit, die sich häufig erst bei näherem Hinsehen zeigt. Die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Kolonisierung ist selbst nach ihrem offiziellen Ende 1994 längst nicht aufgehoben. Ganz im Gegenteil zeigen sich immer noch die mit Apartheid durchwebten und ideologisch unterfütterten Strukturen. Und die Unsicherheit der Menschen auf beiden Seiten. Der Künstler sieht seine Aufgabe als Beobachter und Kritiker der Gesellschaft genau darin. „Dem Ehre zu erweisen oder meine Aufmerksamkeit zu schenken, was übersehen und nicht wahrgenommen wird“, sagt er.

In seiner wunderbaren Serie der „Municipal People“, aufgenommen zwischen 2002 und 2004, in welcher Menschen, die öffentliche Ämter bekleiden in ihren Büros und Amtsstuben porträtiert werden, zeigen sich die üblichen Herrschafts- und Repräsentations-Strukturen – nur dass jetzt viele der Amtsinhaber nicht mehr weiß sind und die Ahnenreihe an der Wand farbige Politiker zeigt. Die Ikonographie der Macht und ihrer Selbst-Darstellung scheint sich kaum geändert zu haben. Leise Ironie durchwebt manches Bild, vorsichtig baut sich offenbar allmählich auch eine innere Distanz der Menschen zu den erniedrigenden, aber eben auch oftmals bizarren Erscheinungen der neuen Gesellschaft auf.

Der Fotograf David Goldblatt (geb. 1930 als Enkel jüdisch-litauischer Immigranten in Randfontain in Südafrika), der aus der privilegierten Schicht der weißen Besitzenden kommt, wegen seines jüdischen und eben nicht burischen Hintergrundes aber auch diskriminiert wurde, sucht mit seinen Arbeiten jene blassen Spuren und Muster, die die Rassentrennung in Architektur und Landschaft – der urbanen wie der ländlichen – Lebenswelt hinterlassen hat. Er begibt sich immer wieder an unspektakuläre Orte, die immer noch den alltäglichen Dunst der Apartheid ausströmen. Orte, die Zeugnis geben von den immanent wirksamen ideologischen Strukturen, die sich nicht nur in den Köpfen festgesetzt haben, sondern sich eben auch in den architektonischen Monumenten und dem Umgang mit ihnen manifestieren. In kaum einem anderen Land wurde die Trennung von Schwarz und Weiß bis zum Ende des 20. Jahrhunderts derart offensiv und scheinbar ohne Schamgefühl ausgelebt wie in Südafrika. Zäune und Sicherheitsbarrieren erinnern heute daran, dass die Menschen hier auch jetzt in keinesfalls sicheren und gesicherten Verhältnissen leben.

Goldblatt gilt spätestens seit seiner documenta-Beteiligung 2002 als ein scharfsinniger und unsentimentaler Beobachter seiner Heimat. Die alte Welt vor Mandela ist auf seinen Fotografien schwarz-weiß abgebildet und damit buchstäblich Spiegel einer politischen und sozialen Wirklichkeit, in der das Leben offiziell in Schwarz und Weiß geteilt war, und welche mit dem Sieg des ANC endlich ein Ende haben sollte. Nach der politischen Wende nun benutzt Goldblatt Farbfotografien. Sie zeigen das „neue“ Südafrika – und in ihm das alte.

museum kunstpalast, DüsseldorfBis 21.8.2005