ANDREJ IVANJI ÜBER DIE PRÄSIDENTENWAHLEN IN SERBIEN
: Den Widerling akzeptieren

In einer TV-Debatte hatte Oppositionschef Tomislav Nikolic die Wähler aufgerufen, den bisherigen Staatspräsidenten Boris Tadic zu „bestrafen“. Am Sonntag ist das in der Stichwahl tatsächlich geschehen: Tadic zahlte die Rechnung für die soziale Misere, die hohe Arbeitslosigkeit, für Vetternwirtschaft und die Arroganz seiner regierenden Demokratischen Partei (DS), die realitätsfremd wirkte.

Die geringe Wahlbeteiligung zeugt von einem Dilemma: Tadic’ ideologielose, auf Marketing ausgerichtete Politik wirkte nicht mehr glaubwürdig, dem pragmatisch zum Europäer gewandelten ehemaligen Ultranationalisten Nikolic konnten viele aber, angeekelt von seiner kriegshetzerischen Vergangenheit, ihre Stimme auch nicht geben. Der Mann, der die serbischen Territorien in Kroatien zurückerobern und die Albaner aus dem Kosovo vertreiben wollte, der den Genozid in Srebrenica negierte und Exgeneral Ratko Mladic als Volkshelden glorifizierte, änderte über Nacht seine Ansicht und schwor auf die Mitgliedschaft Serbiens in der EU und europäische Werte. Die serbische Regionalpolitik dürfte aber schwer an Nikolic’ Vergangenheit leiden.

Trotz alldem kann der Wechsel der serbischen Demokratie nur gut tun. Der DS und ihrem Chef Tadic fehlte in letzter Zeit das Bewusstsein, dass Demokratie auch Abwahl bedeuten kann. Dass ausgerechnet ein ehemaliger Ultranationalist ihnen diese Lektion erteilt, daran ist der Liebling des Westens Tadic selber schuld: Um der Macht willen besiegelte er den Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung. Die Genesung Serbiens beruht so auf dem Wandel und nicht auf der Bannung der einst kriegshetzerischen Parteien und Politiker. So widerlich das sein mag, der Westen täte gut daran, dies zu akzeptieren. Sonst könnte Serbien nur allzu leicht wieder vom europäischen Kurs abkommen.

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