Noch einmal von vorn

Nach der Chaoswahl 2021 geht es in Berlin am 12. Februar erneut an die Urnen. Mit der Wiederholungswahl setzt Berlin mal wieder Maßstäbe. Ein Check von der Bezirks- bis zur Bundesebene

Von Stefan Alberti

Wenn am 12. Februar fast zweieinhalb Millionen Berliner Wahlberechtigte die Wahl vom 26. September wiederholen können, so ist das ein absolutes Novum in Deutschland. Denn dass ein Gericht eine Wahl komplett für ungültig erklärt und eine komplette Wiederholung folgen muss, ist bislang einzigartig.

Was bisher geschah

An jenem Wahlsonntag 2021 stand in Berlin nicht nur wie überall in Deutschland die Bundestagswahl an. Es war zudem auch über das Abgeordnetenhaus – das Landesparlament des Stadtstaats – und die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen zu entscheiden. Außerdem wartete in den Wahllokalen noch der Abstimmungszettel über den Volksentscheid zur Frage, ob große Immobilienunternehmen enteignet werden sollten. Insgesamt sechs Kreuze waren zu machen, und das alles unter den damaligen Kontaktbeschränkungen der Coronapandemie.

Im Laufe jenes warmen Sonntags kam es zu langen Schlangen vor den Wahllokalen. Wegen Corona gab es weniger Wahlkabinen, teils gingen die Wahlzettel aus oder es gab welche aus anderen Wahl­kreisen. Noch länger als zwei Stunden nach dem eigentlichen Wahlschluss um 18 Uhr, als bereits Prognosen zum Wahlausgang verfügbar waren, standen Menschen vor Wahllokalen an.

Beim Landesverfassungsgericht gingen zahlreiche Einsprüche gegen die Wahl ein. Dennoch rechnete in der Berliner Landespolitik kaum jemand mit einer kompletten Wahlwiederholung – maximal in einzelnen Wahlkreisen, aber doch nicht dort, wo es gar keine Probleme gab, war die gängige Haltung. Es war darum eine große Überraschung, als das Gericht schon in seiner mündlichen Verhandlung Ende September 2022 klarmachte, dass es auf eine komplette Wiederholung hinauslaufen würde.

Das Besondere

Weil das Berliner Gericht aber nur für Landesangelegenheiten zuständig ist, beschränkt sich sein Urteil auf die Wahl auf Landes- und Bezirks­ebe­ne. Für Beschwerden gegen die Bundestagswahl ist nämlich der Bundestag zuständig. Der aber entschied im vergangenen November: Noch mal gewählt wird bloß in gut jedem sechsten der rund 2.200 Berliner Wahllokale.

Das aber geschieht nicht zeitgleich am 12. Februar, weil diese Entscheidung noch zur Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe liegt. Der erfolgreiche Volksentscheid wird nicht wiederholt – er war gar nicht angefochten worden, mutmaßlich wegen des sehr großen Abstands zwischen Ja- und Nein-Stimmen.

Das Besondere am erneuten Wahlgang am 12. Februar ist nun, dass es eben keine Neuwahl, sondern eine Wiederholung mit demselben Bewerberfeld wie im September 2021 ist. Wobei niemand gezwungen wird, erneut zu kandidieren – wer nicht mehr will, kann zurückziehen. Bloß kann keine Partei von sich aus Kandidaten gegen ihren Willen zurückziehen. Weggezogene und Verstorbene streicht die Landeswahlleitung sowieso.

Von einer Wiederholung unter gleichen Bedingungen zu sprechen, gilt dennoch als weltfremd, weil sich das politische Umfeld seit dem 26. September 2021 stark geändert hat – auch der neue Landeswahlleiter Stephan Bröchler sieht das so (siehe das Interview auf Seite 50–51).

Wer gewinnt?

Zu diesem veränderten Umfeld gehört nicht nur die gesunkene Beliebtheit der Ende 2021 von einer rot-grün-roten Koalition ins Amt gewählten Regierungschefin Franziska Giffey (SPD). Stark verändert hat sich auch die politische Stimmung auf Bundesebene. Kam die CDU 2021 bei der Bundestagswahl nur auf rund 24 Prozent, so schneidet sie nun in Umfragen deutlich stärker ab und liegt bei bis zu 30 Prozent. Die SPD ist teils unter 20 Prozent gerutscht.

Dieser Bundestrend wird nach vorherrschender Meinung auch bei der Abgeordnetenhauswahl eine deutliche Rolle spielen. In Berlin liegen SPD, CDU und Grüne aktuell auf Augenhöhe. Dabei sorgen sich die Grünen, dass überzeugte Umweltschützer sie wegen der Räumung des Dorfs Lützerath im schwarz-grün regierten Nordrhein-Westfalen durch Nichtwahl oder durch Stimmen etwa für die „Klimaliste“ abstrafen können – auch wenn diese Konfliktzone um den Braunkohleabbau rund 600 Kilometer entfernt ist und die Berliner Spitzenkandidatin Bettina Jarasch daran nicht beteiligt war.