Die Wahrheit: Pachamamas Umarmung

Heutzutage kann man nicht einmal mehr in Ruhe sein Chakra suchen, ohne von Putinverstehern und Coronaleugnern belästigt zu werden.

Beate kam sonst nie ins Café Gum. Sie schämte sich für uns. „Alte Knacker, die an einer Theke stehen und finden, dass früher alles besser war – herrjeh!“, hatte sie einmal gesagt. „Das ist so ein peinliches Männerding, vom feministischen Standpunkt her recht fragwürdig.“ – „Also bitte, wenn wir von früher sprechen, geht’s um den Volkszählungsboykott 88 oder um die Hausbesetzung in der Agnesstraße“, hatte Raimund protestiert: „Du kannst uns doch nicht mit irgendwelchen Stammtischbrüdern vergleichen!“ – „So?!“ Beate hatte laut gelacht. „Dann kuckt euch mal an.“

Jetzt aber flog die Tür auf, und da stand sie in voller Pracht vor uns: wutschnaubend – und schlammverkrustet.

„Oh, Mäuschen, was für eine Überraschung!“, stotterte Luis. „Du sollst mich in der Öffentlichkeit nicht ‚Mäuschen‘ nennen!“, zischte sie. „Ouzo!“, fauchte sie dann Petris, den Gumwirt, an. „Für die Herren auch!“ Sie rührte mit dem Zeigefinger in der Luft herum.

Seit einigen Jahren suchte sie nach spirituellen Erfahrungen, was Luis recht fragwürdig fand. Früher als Frontkämpferin wider die siebenköpfige Schlange der patriarchalen Herrschaft berüchtigt, nahm sie nun an Yo­ga­kur­sen und Chakrenpowermassagen teil. An diesem Wochenende war sie in eine Hütte im Wald hinter den Bergen bei den sieben Zwergen gefahren, wo ein Seminar mit dem Titel „Pachamama erspüren“ stattfinden sollte.

Der nächste Ouzo

„Ist das Seminar etwa schon vorbei?“, fragte Luis, nachdem sich der erste Ouzo unsere Speiseröhren hinuntergefressen hatte.

„Oh, ja!“, schnappte Beate und machte wieder die Rührbewegung. Wir kippten den nächsten Ouzo und Raimund fragte: „Ich hab gehört, dass bei diesem Pachamamadings ein Schamane ein Meerschweinchen aufschlitzt und über die Körper seiner Jünger schmiert – stimmt das?“ Luis kriegte einen Hustenanfall. „Natürlich nicht!“, keuchte er: „Und wenn, gibt’s da längst ’ne vegane Alternative! Pachamama ist Mutter Erde.“ – „Ah, verstehe“, rief Raimund und zeigte auf Beates verschlammte Kleidung: „Und das sind die Spuren von Pachamamas Umarmung!“

Beate grinste: „Vor allem scheint Pachamama Idioten anzuziehen.“ Dann erzählte sie, dass sich schon bei der Begrüßung draußen vor der Hütte ein paar Männer als Coronaleugner und Putinfreunde hervorgetan hätten. Natürlich hatte Beate ihnen energisch widersprochen. Die Folge war ein hitziges Hin und Her, das dazu führte, dass Beate sich auf ihre Taekwondo-Fertigkeiten aus der Frontkämpferinnenzeit besinnen musste. Am Ende landete sie zwar in einem Schlammloch – ihre Widersacher indes in der Notaufnahme.

Doch das bekamen wir nicht mehr mit, denn nach dem sechsten oder siebten Ouzo sank auch der letzte unter die Theke. Nur Beate stand noch aufrecht und rief: „Männer, phh, Weicheier!“

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Joachim Schulz wurde 1963 an der Nordseeküste geboren und in Regen, Wind und Nebel großgezogen. Er lebt mittlerweile in einer kleinen Welt in der hessischen Provinz, wo unablässig die großen Fragen des Lebens erörtert werden, und ist seit 1996 im Einsatz für Die Wahrheit.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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