Der Mönch, der U2 nicht kannte

Wegen Blair, Bush und Bono unterwegs in Myanmar. Ende einer Expedition

Horrorzehen, zwei Flintenweiber im Mini-Bus, der Schrecken von Bagan, und zuletzt Gerald, der Bus fahrende Metzger, das war die bisherige Bilanz meiner Expedition nach Myanmar. „Warum, um alles in der Welt“, schrie ich zu meiner chinesischen Dolmetscherin hinüber, „bin ich eigentlich hierher gekommen?“ Ich musste schreien, denn wir saßen in einem Langboot, das gerade mit Höchstgeschwindigkeit auf den Inle-See hinausknatterte. „Du hast mir erklärt“, schrie die Dolmetscherin zurück, „es sei wegen Tony Blair.“

Das war richtig. Aber Blair war nur ein Grund unter vielen. Da gab es noch 70 britische Prominente, darunter Vivienne Westwood, die Baroness Cox und der militante Nichtraucher Lord Faulkner of Worcester. Sie alle hatten mich mit einem schneidenden Appell daran hindern wollen, nach Myanmar – das sie Burma nennen – zu fliegen. Sie meinten, dass jeder Myanmartourist das hiesige Militärregime unterstütze. Nun sind die regierenden Generäle Myanmars tatsächlich üble Bunken, verantwortlich für Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Zwangsarbeit. Aber schließlich hatten die Briten genauso regiert, als sie hier noch am Ruder waren. Woher nahmen also der Irakeinmarschierer und seine Medien-Spießgesellen das Recht, mir mein Reiseziel zu verbieten?

Bestätigt hatte mich in meiner Pro-Myanmar-Entscheidung auch der bekannte Freiheitskämpfer George W. Bush, der Jahr für Jahr einen „Burmese Freedom and Democracy Act“ unterzeichnet, mit dem er dieses Land zu isolieren sucht. Und außerdem war da noch Bono, der Sänger von U2.

Seit Jahren steht dieser Mann an der Spitze der Bewegung, die Myanmar irgendwie befreien will. Auf Tourneen trägt Bono „Free Burma“-Shirts. 2001 nahm er mit U2 die Single „Walk On“ auf, die er der Führerin der myanmarischen Opposition, Aung San Suu Kyi, widmete, ein Song, in dem die Metaphern „Glassherz“ und „Singvogel in offenem Käfig“ vorkommen. 2004 schrieb Bono dann zusammen mit dem republikanischen US-Senator Mitch McConnell in einem Artikel: „Leute, die planen, Burma zu besuchen, sollten ihre Reisepläne noch mal überdenken.“ Das hatte am Ende den Ausschlag gegeben. „Wenn Bono mir empfiehlt, etwas nicht zu tun“, schrie ich meiner Dolmetscherin zu, „dann tue ich es erst recht.“

Jetzt war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher. Ich sah mich um. Am Ufer standen Holzhäuser auf Stelzen im blauen Wasser. Dazwischen schwammen blühende Lotusteppiche, und Fischer ruderten in kleinen Nachen. Ein schönes Bild. Doch was sich hinter dem Idyll verbarg, davon hatte ich keine wirkliche Ahnung. Sicher: U2 macht die fürchterlichste Musik der Welt. Aber vielleicht hatte Bono doch einmal Recht gehabt, und ich war hier nichts weiter als ein Helfershelfer dunkler Mächte.

Das Boot fuhr durch einen kleinen Fluss, in dem Bauern ihre Wasserbüffel badeten, und legte dann bei einem Dorf an. Links vom Anleger lag ein Hügel, auf dem eine verfallene Pagode stand. Irgendetwas zog mich nach dort oben. Ich beschloss hinaufzusteigen. Alleine. Kurz unter dem Gipfel stand ich vor einem verschlossenen Gartentor. Es dauerte eine Weile, bis ein alter Mönch kam, um mich einzulassen. Ich stieg die letzten Meter hoch zur Pagode, setzte mich auf einen Felsen und sah auf den spiegelglatten See. Es war still hier oben. Unglaublich still.

Ich hatte vielleicht eine halbe Stunde so dagesessen, als ich etwas zu hören begann: eine Melodie, die der laue Wind zu mir herüberwehte. Ich lauschte angestrengt. Und dann erkannte ich das Stück: Es war „Pride (In the name of love)“ von U2, der widerlichste Song der Rockgeschichte. Die Eingeweide verkrampften sich mir.

Aber war das überhaupt möglich? Ich wusste: Nach der Veröffentlichung von „Walk On“ hatte die hiesige Regierung alle U2-Platten verboten. Auf den Besitz des Albums „All That You Can Leave Behind“ (mit der inkriminierten Single) sollen angeblich 20 Jahre Gefängnis stehen. Und doch hörte ich dieses Stück, und es wurde immer klarer und immer lauter.

Ich weiß nicht, wie lange dieser Horror anhielt. Irgendwann stand jedenfalls der Mönch neben mir. Er hielt mir einen verrosteten Wasserkessel vors Gesicht und brabbelte etwas, das ich nicht verstand. Im selben Moment war auch der Song verschwunden. Erleichtert stellte ich fest, dass er nur in meinem Kopf existiert hatte.

Ich sah dem Alten ins Gesicht. Er hatte keine Zähne mehr. Er besaß auch sonst nichts, nur eine verfallene Hütte, ein paar magere Hühner und diesen verrosteten Wasserkessel. Aber dafür hatte er noch nie ein Stück von U2 gehört und würde wohl auch nie eins hören müssen. War er nicht reicher als wir alle? Bestimmt!

Als ich das erkannte, waren auch meine Zweifel verflogen. Ich wusste jetzt, dass mein Entschluss, nach Myanmar zu fahren, kein Fehler war. Ein Regime, das alle Platten von U2 verbietet, kann nicht zu 100 Prozent schlecht sein. Höchstens zu 99 Prozent.

Beglückt stieg ich den Berg hinab, bereit zu neuen Abenteuern. WALTER MYNA