Kunsthistorische Ausstellung in Wien: Möglichst echte alte Meister
Die frühe Reproduktionsfotografie schuf Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Erwerbszweig und sie bedeutete einen Wendepunkt der Kunstgeschichte.
In vielen Museen ist es erlaubt, ein Smartphone mit in die Ausstellung zu nehmen. Warum auch nicht? Mögen die eingebauten Kameras inzwischen sehr gut sein, für eine kommerzielle Auswertung der damit erstellten Bilder bedarf es vor allem fachlicher Kenntnis. Das war Ende des 19. Jahrhunderts nicht anders. Eine feine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien widmet sich den Anfängen der Reproduktionsfotografie als neuem Erwerbszweig und Wendepunkt der Kunstgeschichte.
Vor Erfindung der Fotografie erfassten Gemäldesammlungen ihre Bestände meist ohne Illustrationen. In den Katalogen wurden nur ausgewählte Werke mit Holzschnitten und Kupferstichen reproduziert. Erst das Verfahren mit der Kollodium-Nassplatte machte es um 1850 möglich, viele Abzüge von einem Negativ zu erstellen und als Einzelbilder oder in Publikationen zu vermarkten.
Der Umzug der kaiserlich-österreichischen Gemäldesammlung vom Schloss Belvedere in das damals von Gottfried Semper und Carl von Hasenauer am Wiener Ring errichtete neue Kunsthistorische Museum gab Anlass, Werke von Alten Meistern wie Caravaggio, Tintoretto und Rubens systematisch zu erfassen und dem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Tageslicht bot beste Bedingungen für perfekte Aufnahmen. Damit die Bilder beim Transport möglichst wenig Schaden nehmen, richtete der beauftragte Hoffotograf Josef Löwy im Garten vor dem Belvedere von 1888 bis 1891 ein temporäres Atelier ein.
Die optimale Sonneneinstrahlung
Wie der Pavillon ausgesehen hat, davon vermitteln in der Ausstellung technische Zeichnungen und ein Modell einen Eindruck. Eine große Balgenkamera war auf einer Drehscheibe montiert, sodass die zu fotografierenden Bilder nach der optimalen Sonneneinstrahlung ausgerichtet werden konnten. Zugleich ließ sich das Aufnahmegerät bei kleineren Gemälden oder für Detailaufnahmen näher an das Kunstwerk heranschieben.
„Farbe in Schwarz-Weiß. Josef Löwys photographische Drehschreibe 1888–1891“, Kunsthistorisches Museum Wien. Bis 1. Mai. Katalog 14,95 Euro.
Zwei feuerfeste und ineinander verschiebbare Holzhütten überdachten die Kamera und dienten als Dunkelkammer, in der die lichtempfindlichen Fotoplatten unmittelbar vor und nach der jeweiligen Aufnahme präpariert wurden.
Den qualitativen Unterschied zwischen Innen- und Außenaufnahmen veranschaulichen in der Ausstellung zahlreiche Gegenüberstellungen. Besonders gut zeigen sich die Unterschiede anhand zweier Aufnahmen von Michiel Coxcies Altarflügel „Vertreibung aus dem Paradies“ aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Auf der einen sind Partien der Oberkörper von Adam und Eva überbelichtet, während die Tiere zu ihren Füßen ebenso wie die Baumkronen durch flächiges Dunkel an Kontur verlieren. Die andere, am gleichen Tag entstandene Außenaufnahme zeichnen differenzierte Helligkeitswerte und Schärfe aus.
Josef Löwy hatte ein Verfahren entwickelt, das die Farben eines Gemäldes in adäquaten Schwarzweißtönen wiedergab. Zudem ermöglichte die erzielte Tiefenschärfe Vergrößerungen von Details, die heute mit denen hochauflösender Digitalbilder vergleichbar sind. Eine Vorreiterrolle in der damaligen Reproduktionsfotografie nahm übrigens das Militär ein, es musste bei der Vervielfältigung von Karten schließlich besonders präzise arbeiten.
Der besseren Verkäuflichkeit wegen war es üblich, offensichtliche Mängel auf Reproduktionen zu retuschieren. Hingegen lehnten die Kunsthistoriker jede Nachbearbeitung ab. Sie legten Wert auf exakte Kopien. Da nicht jedem Kunstwissenschaftler das Studium großer Sammlungen vor Ort möglich war, boten Fotografien von Exponaten nun eine gute Alternative.
Die Kunstgeschichte verdankt der fotografischen Entwicklung wichtige Diskussionen zur Rezeption von Kunst und dem Medium. Bis heute gilt etwa Walter Benjamins Aufsatz über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von 1935 als eine der maßgeblichen Untersuchungen zum Thema.
Sämtliche Kosten für die dreijährige Kampagne oblagen übrigens Josef Löwy. Lediglich für das Wasser, das zum Entwickeln benötigt wurde, durfte er eine kaiserliche Leitung anbohren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!