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Überall nur Ausbeutung

Am Gorki Theater hat Sebastian Baumgarten „Amerika“ nach Franz Kafka inszeniert. Er nutzt den Text für eine Demaskierung des American Dreams. Neu ist das gerade nicht

Wie aus einem Stummfilm entsprungen: „Amerika“ im Gorki Theater Foto: Ute Langkafel/Maifoto

Von Michael Wolf

Schon im zweiten Satz ist Franz Kafka ein Fehler unterlaufen. Sein Protagonist erkennt bei der Einfahrt in den Hafen von New York ein Schwert statt einer Fackel in der Hand der Freiheitsstatue. Dieses erste Kapitel von „Amerika“ wurde bereits zu Kafkas Lebzeiten veröffentlicht, er muss also auf das Versehen aufmerksam gemacht worden sein, ließ es jedoch nie korrigieren. War es etwa gar keines, sondern blutige Absicht? Diesen Gedanken legt Sebastian Baumgartens Inszenierung „Amerika“ am Maxim Gorki Theater nahe.

In dessen Verlauf gruppieren sich Teile des Ensembles immer wieder um einen Tisch und stecken wie ein Ermittlerteam im Krimi die Köpfe zusammen. Mit ernstem Tonfall sprechen sie dann einige Sätze aus der Fassung, rekonstruieren Karl Roßmanns Irrweg durch die USA. Er ist ihr Kronzeuge und die Bühne ein Tatort. Die Schauspieler fotografieren einander den ganzen Abend lang. Die Ergebnisse dieser Observation erscheinen auf einigen Bildschirmen am Bühnenrand, abgewechselt von Impressionen heruntergekommener Städte, verlassener Häuser.

Das Opfer in diesem Mordfall ist noch gar nicht abtransportiert, seine sterblichen Überreste füllen das Bühnenbild: Es ist Amerika. Die Freiheitsstatue dürfte sich noch eine Weile gegen das Unausweichliche gewehrt haben, doch letztlich war ihr Kampf vergebens. Aus einer grauen Wüste heraus stechen die Insignien einer verfallenen Weltmacht hervor. Zwei windschiefe Wolkenkratzer, ein weggeworfener Styroporbecher, ein einzelnes Wagenrad und ein überdimensionaler Nike-Sneaker mit religiösen Botschaften darauf.

Der Traum ist aus, Karl Roßmann ist zu spät gekommen. Seine Eltern haben ihn über den Atlantik geschickt, weil er zuhause in Prag ein Dienstmädchen geschwängert hatte. In New York findet er zunächst Unterschlupf bei einem reichen Onkel, der ihn aber bald verstößt, woraufhin er auf der Suche nach Obdach und Anstellung durch das Land irrt, überall jedoch nur ausgenutzt wird. Das amerikanische Aufstiegsversprechen erweist sich bald als Druckmittel, die sozial Schwachen kontrollieren zu können.

Sebastian Baumgarten ergänzt seine zweistündige Inszenierung mit Auszügen aus einem philosophischen Reisebericht Jean Baudrillards. Der französische Theoretiker erlangte Berühmtheit mit der These, dass sich die Zeichen von ihrer Verbindung zur Wirklichkeit gelöst hätten. Die postmoderne Gesellschaft produziere lediglich Simulationen, ohne sich noch daran erinnern zu können, wovon überhaupt. Zu Beginn des Abends tritt Falilou Seck an die Rampe, beklagt zunächst die Unzugänglichkeit der Realität, um dann doch noch eine Erleuchtung in Aussicht zu stellen. Man darf das folgende Spiel somit als einen Blick hinter die Fassade verstehen. Amerika zeigt sich, all seiner Mythen beraubt, als Land, in dem das sehr reale Unheil grassiert: Ausbeutung, Betrug, gnadenloser Wettkampf.

Freilich ist die Demaskierung des American Dream weder eine neue noch besonders originelle Agenda. Es erschließt sich auch nicht, warum es nötig wäre, Baudrillard für dieses Projekt einzuspannen. Um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf sein tatsächliches Format zu schrumpfen, genügte doch schon ein Blick in die Statistik der Drogentoten. Es kommt daher zunächst der Verdacht auf, Sebastian Baumgarten wollte ein letztlich simples Unternehmen mit philosophischem Beistand aufwerten.

Aber dieser Eindruck täuscht. Denn die ans Verschwörungstheoretische grenzende Skepsis Baudrillards prägt Baumgartens Lesart offenbar sehr. Sein siebenköpfiges Ensemble scheint in jeder Akzentuierung, jeder klugen Reflexion, jeder genauen Beobachtung und jeder Pointe eine Verstellung zu vermuten, mithin eine Strategie, das Eigentliche zu verbergen. Ihr Umgang damit ist offen dargestelltes Desinteresse. Sie hetzen über Kafkas Text hinweg, schaffen ihn in großem Tempoweg, meiden nicht nur die Tiefe, sondern versuchen sich sogar an der Beweisführung, dass eine solche nur Schein ist.

Betont oberflächlich sind denn auch die Mittel, die hier zum Einsatz kommen. Vom Band dräut und klimpert es unheilschwanger, auch Bud-Spencer-Gedächtnisfaustschläge werden einmal eingespielt. Die fahl geschminkten Spieler wirken mit ihrem Hang zu Slapstick und viel zu großer Geste wie einem Stummfilm entsprungen. Auch so ließe sich der Argwohn dem Text gegenüber erklären: Sie wollten niemals sprechen und tun es nun nur unter Protest. Beim Zuschauen stellt sich bald jener Widerwille ein, der einen überkommt, wenn man Personen bei einer ihnen unangenehmen Arbeit beobachtet.

Wieder am 5. Februar im Gorki

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