Beatdichter, Telefon!

POETRY Der New Yorker Performance Poet John Giorno hat mehr zu bieten, als sich für Andy Warhol hingelegt zu haben. Morgen liest er im Bremer Moments

Sein eigenes Performance-Debüt hat John Giorno im Wortsinne verpennt

VON TIM SCHOMACKER

Gegenüber dem früheren Club CBGB’s befindet sich der „Bowery Poetry Club“. Das kleine Café mit Spoken-Word-Bühne hinten ist gerade erst zehn Jahre alt. Nachwuchsdichter treten hier auf, auch reichlich Wannabes; manchmal aber auch Stimmen und Gesichter aus einer der legendären New Yorker Vergangenheiten.

John Giorno, zum Beispiel. In dunkelgrauem Sweater und ganz undesignerisch verwaschener Jeans steht er da mit dem Mikrophon in der Hand und schraubt sich hinein in den Beat der Assonanzen: „It doesn’t get any more fabulous. / And as bad as it is, it does not get any better.“

Sein neues Gedicht erzählt von der Stadt, die sich verändert, die ihren Ärger, ihre Schönheit, ihre Geschichte pflegt. „I’m here to do whatever is your pleasure / empty words without a trace / all I had to do was get through it / all I had to do was get through it.“

Wenn er Zeilen wiederhole, hat Giorno einmal gesagt, wird jede Wiederholung aus einem anderen Blickwinkel gesprochen. Kubistischer Gedanke. Auch als alter Mann – das neue Gedicht und die Aufnahmen sind drei Jahre alt; da war er 73 – wirkt Giorno kraftvoll, witzig.

1936 geboren und auf Long Island aufgewachsen, kam Giorno Anfang der 1950er-Jahre zum Literaturstudium nach New York City. Er wurde etwas, für das das amerikanische Wort „poet“ gerade so eben ausreicht, das mit dem deutschen „Dichter“ aber nicht annähernd erfasst wird: Performer und Produzent, Verleger und Kulturentwickler, Spoken-Word- und Visual-Artist, Maler und Unterstützer von Aids-Kranken.

Allein Giornos Liebschaften kartographieren einen wesentlichen Teil der New Yorker Kunstszene der 1960er. Die Popkünstler Andy Warhol und Robert Rauschenberg sowie der Autor und Erfinder des CutUp-Prinzips Brion Gysin sind nur die bekanntesten.

Nicht als Dichter, sondern als Schläfer tritt Giorno erstmals öffentlich in Erscheinung. Wie das Leben in der und mit der und überhaupt als Kunst zu veröffentlichen wäre, das ist eine Frage, die ihn bis heute begleitet. Seine Texte erschienen auf Schallplatten und Glückskeksen, in Büchern und auf Tarotkarten, in Filmen und Musikvideos. 1967 legte er Lyrik von Plath bis Ginsburg auf eine Telefonleitung. Dial-A-Poem!

1963 jedenfalls haute sich Giorno auf Geheiß von Andy Warhol hin. Dieser hatte gerade seine erste „Factory“ installiert und umkreiste den nackten, schlafenden Giorno mit der Kamera. Geschnitten und mit Loops versehen, wurde der gut fünf Stunden lange Film „Sleep“ von Jonas Mekas in der Filmemacher-Kooperative gezeigt.

Das „Einfach mal machen“ dieser Künstlergeneration entwickelte eine sogartige Vor(be)reiter-Kraft, Langzeitimpulse. Haltungen und Striktheit von „Sleep“ etwa, auch wenn Giorno sein eigenes Performance-Debüt im Wortsinne verpennt, findet es sich in Arbeiten Bruce Naumans oder Bill Violas wieder.

Giorno ließ sich nicht nur gut inszenieren, er machte auch selbst. Er suchte nach literarischen Analogien zu Warhols, Johns’ oder Lichtensteins leinwandorientierter Pop-Ästhetik, „entwendete“ (Guy Debord) Textliches, Schriftliches aus diversen Druckerzeugnissen – von der New York Times bis zum Schwulen S/M-Magazin. Literarisch stand er Burroughs und Gysin näher als Ginsburg.

Dass Realismus – anders als im landläufigen Verständnis – eher im Aufbrechen von Linearität und eindeutiger Lesbarkeit liegt, wurde und blieb sein Credo. Dass er früh die reproduktiven wie produktiven Qualitäten von Bandmaschinen, Mikrophonen und Effektgeräten nutzte, ist schon jetzt sein Vermächtnis.

Giornos Kontakte verbanden so unterschiedliche Gruppen wie die französischen Sound-Poeten um die „Revue OU“ und Ikonen von Punk (Suicide), Industrial (Throbbing Gristle), Noiserock (Sonic Youth) und 80er Jahre Underground (Lydia Lunch).

Dass aber eine Performance des heute 75-jährigen nicht zur Geschichtsstunde wird, sollte eine seiner eigenen Erinnerungen verhindern. Als 1954 ein Kommilitone in den Schlafsaal der Columbia University kam um ihm zu verkünden, dass auch Garcia Lorca dort einmal gewohnt hätte, schreibt er in „Lorca, Please Help Me!“: „Wenn du Siebzehn bist, kommt dir die 25-Jahre-her vor wie Alte Geschichte.“

■ Freitag, 20 Uhr, Moments