OFF-KINO: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Das klassische Hollywoodstudiosystem heißt nicht zuletzt deshalb „klassisch“, weil man sich dort zumeist Erzählstrategien bediente, die man vielleicht – um jetzt mal ein anderes Wort zu verwenden – als „etabliert“ bezeichnen könnte. Das bedeutet allerdings nicht, dass man in Hollywood nicht auch ganz anders konnte. Robert Montgomerys Chandler-Verfilmung „Lady in the Lake“ aus dem Jahr 1947 ist ein schönes Beispiel: Komplett aus der Perspektive des Detektivs Philip Marlowe aufgenommen, sieht man den von Montgomery verkörperten Schnüffler eigentlich nur ein einziges Mal im Film – als er in einen Spiegel guckt. Im gleichen Jahr entstand auch der nun im Arsenal zu bewundernde Film noir „Dark Passage“ von Delmer Daves, der sich zum Teil einer ähnlichen Methode bedient: Die Geschichte kreist um einen Sträfling, der sich nach seiner Flucht aus dem Gefängnis einer Gesichtsoperation unterzieht, um nicht erkannt zu werden. Der erste Teil des Films ist wiederum komplett aus seiner Perspektive gefilmt, später dann, als die Bandagen von seinem Gesicht genommen werden, wechselt der Film zur herkömmlichen Erzählstrategie, und der auf Rache sinnende Gangster ist – Humphrey Bogart. Wirklich erfolgreich waren beide Filme damals nicht, denn die notwendige Identifikation mit dem Helden konnte über die Point-of-view-Perspektive nicht gewährleistet werden. Das funktioniert offenbar erst in den Billigpornos unserer Tage. (OmU, 27.–28.5. Arsenal)
Neben Bogart und James Dean gehört Marilyn Monroe zu jenen nicht totzukriegenden Leinwandikonen, zu denen jedes Jahr ein ganzer Berg neuer Bücher erscheint. So beruht auch Simon Curtis’ Film „My Week With Marilyn“ auf zwei Erinnerungsbänden des Engländers Colin Clark, der 1956 als dritter Assistent von Regisseur Laurence Olivier bei den Dreharbeiten zur Komödie „Der Prinz und die Tänzerin“ in London beschäftigt war. Für kurze Zeit wurde er zum Vertrauten der in einem ständig schwelenden Streit mit Olivier nach einem Verbündeten suchenden Schauspielerin – kleine Liebelei inklusive. In dem unterhaltsamen und teils sehr witzigen Film verkörpert Michelle Williams brillant die Monroe: eine komplexe und leicht schizophrene Frau, charmant und reizend im Privaten, jedoch von großen Unsicherheiten geplagt in ihrem Beruf. Dass sie ständig Zuspruch benötigt, führt zu den Reibungen bei den Dreharbeiten, aus denen der Film eine beständige Komik zieht, dabei jedoch seine Figuren absolut ernst nimmt. (OmU, 24.–30. 5. Hackesche Höfe)
Um Erinnerungen geht es auch in Lucian Busses Doku „Berlinized – Sexy an Eis“, die einen Blick wirft auf die kreative Szene im Berlin der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung, als deren Protagonisten Kunst, Mode, Musik und Bars im Do-it-yourself-Verfahren miteinander verbanden und dabei in der Hauptstadt noch jene Freiräume erkundeten, die wenig später bereits zubetoniert waren. Zeitgenössische Selbstdarstellungsfilmchen und amüsante Interviews bieten einen erhellenden Einblick. (24.–30. 5. Zukunft, 28.–30. 5. Acud) LARS PENNING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen