„Ich möchte, dass die zivilisierte Welt diesen Krieg gewinnt“

Seit Anfang des Jahres ist Krieg in der Ukraine. In Odessa kämpft der Ukrainische Informationsdienst von Tatjana Milimko gegen Fake News und den täglichen Wahnsinn des Krieges

Foto: privat

Interview Gaby Coldewey

taz Panter Stiftung: Ihr arbeitet weiter in Odessa – trotz Krieg. Gab es einen Moment, an dem du dachtest: Ich muss hier doch weg?

Tatjana Milimko: Ich habe immer einen Notfallkoffer im Auto. Als Odessa sehr regelmäßig angegriffen wurde, bin ich mit den Kindern vorübergehend an einen sichereren Ort gezogen. Ich habe die ganze Zeit weitergearbeitet. Es ist nicht einfach, in einer solchen Situation Chefin zu sein. Ich fühle mich sehr verantwortlich und kann mir nicht erlauben, die Kol­le­g*in­nen hier zurückzulassen. Deshalb lächele ich immer und versuche, ihnen dabei zu helfen, diese Phase durchzustehen.

Nach Kriegsausbruch seid ihr mit der Redaktion in einen Bunker gezogen. Wie ist der Redaktionsalltag heute?

Ich habe allen gesagt, dass diejenigen, die das wollen, sich in Sicherheit bringen sollen, weil ich sie nicht länger schützen kann. Nur eine Frau mit Kind ist weggegangen, aber sie arbeitet weiter online für uns. Einige haben sich bereit erklärt, ohne Bezahlung weiterzumachen. Wir bleiben als Team zusammen und damit als Informationsquelle. Aber es ist kompliziert. Jetzt arbeiten wir auch von zu Hause oder suchen uns Orte, an denen es Strom gibt, um unsere Laptops aufzuladen und einen Internetzugang zu haben. Wir machen Konferenzen im Büro, während des Luftalarms in der Tiefgarage.

Warum ist es so wichtig, in der Ukraine zu bleiben?

Wir sind geblieben, weil wir die Bevölkerung informieren wollen. Die Menschen müssen nicht nur Frontberichte bekommen, sondern auch wissen, wo sie heißen Tee erhalten oder ihre Telefone aufladen können. Welche Hilfe sie wo bekommen können. Sie müssen die Analysen von Atom­waf­fen­ex­per­t*in­nen lesen können, um zu verstehen, was das ist und warum das gefährlich ist. Sie müssen wissen, wie Minen aussehen, um nicht an der Stelle im Meer zu baden, wo es welche gibt. All das machen wir Journalist*innen.

Der Ukrainische Informationsdienst (USI) ist ein regionales Online-Portal, das über Odessa und die Region berichtet. Seit seiner Gründung 2016 ist die Zahl der Mitarbeiter:innen auf 23 angewachsen. Seit 2018 ist USI auch in den wichtigsten sozialen Netzwerken – Facebook, Instagram und Telegram – aktiv und erreicht seitdem ein Millionen­publikum. Seit dem 24. Februar 2022 arbeiten die Journalist:innen des USI aus Bunkern, Tiefgaragen oder zu Hause – wenn denn der Strom funktioniert.

Welche Bedeutung, welche Auswirkung hat die russische Propaganda für eure Arbeit?

Bis 2014 gab es in Odessa sehr viele lokale Internetportale, Fernsehsender und andere Medien, die der Meinung waren, dass unsere Stadt eine russische Stadt sei, dass wir ein Volk seien. Sie haben hier bei uns die russische Regierung verherrlicht und nicht verheimlicht, dass sie für Moskau arbeiten. Nach der Revolution auf dem Maidan 2014 sind alle diese Medien einfach verschwunden. Jetzt sehen wir ihre Mitarbeitenden auf russischen Kanälen, wo sie schreien, dass Odessa bombardiert werden muss. Das ist furchtbar. Unsere ukrainischen Medien hatten nicht so eine starke finanzielle Unterstützung und haben deshalb den Informationskrieg in vielerlei Hinsicht verloren. Unser Portal wurde 2016 gegründet, als mediales Gegengewicht in der Südukraine.

Wie wehrt ihr euch gegen Fake News?

Wir machen Faktenchecks – das ist die Voraussetzung für unsere Arbeit. Jede Nachricht hat ja eine Quelle, an die wenden wir uns. Leider gibt es sehr viele Fakes. Aber nach vielen Jahren Arbeit sind wir diesbezüglich gut aufeinander eingespielt. Wir kennen die Vertreter der unterschiedlichen Strukturen und können sie anrufen oder sogar persönlich fragen, um Informationen zu überprüfen.

Wie können wir eurer Redaktion von Deutschland aus helfen?

Meine Kol­le­g*in­nen müssen ihre Mieten zahlen, manche haben kranke Angehörige, alle brauchen Geld für Lebensmittel, Fahrtkosten u.s.w. Aktuell sind wir wegen des Beschusses größtenteils ohne Strom. Uns würden leistungsstarke Powerbanks oder ein Internetzugang über das Starlink-Satellitennetzwerk und Ähnliches helfen.

Tatjana Milimko

Chef­redakteurin des Ukrainischen Informationsdienstes USI. Sie ist

Mutter von zwei Jungen (9 und 12) und lebt und arbeitet in Odessa.

Autorin des Tagebuchs „Krieg und Frieden“

Was ist dein größter Wunsch?

Ich wünsche mir sehr, dass wir eines Tages nicht mehr mit Krieg in Verbindung gebracht werden. Ich möchte alle, die uns geholfen haben, in unsere schöne Stadt einladen, damit die Menschen sehen, wie tapfer und mit welch großer Liebe wir sie verteidigen – unser Odessa. Ich möchte, dass die zivilisierte Welt den Krieg gewinnt.

Aus dem Russischen:Gaby Coldewey